So kann man sich täuschen

Privat -Walter Marsand machte auf dem Neugrabener S-Bahnhof eine positive Erfahrung.

So kann man sich täuschen.

Unerwartete Hilfe für Rollstuhlfahrer.

Vom Äußeren auf den Charakter eines Menschen schließen, ist nicht ratsam. Diese Erfahrung musste in positiver Hinsicht der engagierte Bürger Walter Marsand machen. Als er vor Kurzem auf dem Neugrabener S-Bahnhof unterwegs war, bemerkte er zwischen den zahlreichen Bahnkunden einen einsamen Rollstuhlfahrer. „Ich wollte mit der nächsten Bahn weiter nach Buxtehude, um von dort aus nach Stade zu radeln. Der Bahnsteig leerte sich, die Reisenden hatten sich auf ihre weiteren Wege gemacht. Erkennen konnte ich, dass ein Rollstuhlfahrer alleine auf dem Bahnsteig stand und telefonierte. Auf meine Frage, ob ich helfen könne, kam die Antwort, dass er zu Hause angerufen habe, der Fahrstuhl sei wieder einmal defekt, er würde später nach Hause kommen. Wir kamen ins Gespräch und er teilte mir mit, dass die kaputten Fahrstühle fast die Regel seien“, gibt Marsand das Gespräch wieder. Nun müsse er, erzählte der 40-50 Jahre alte Mann, mit der S-Bahn wieder vier Stationen bis nach Harburg fahren und von dort aus mit dem HVV-Bus wieder gute 20 Minuten nach Neugraben. „Ich wies ihn auf die Rolltreppe hin und schlug vor, ihm bei der Nutzung zu helfen, indem ich den Rollstuhl hinten festhalten und stützen würde. Er bedankte sich für das Hilfsangebot, wies aber darauf hin, dass der elektrische Rollstuhl sehr schwer sei, ich ihn nicht halten könnte und außerdem wäre es aus versicherungsrechtlicher Sicht wegen der Unfallgefahr nicht gestattet. Er könne zwar einige Schritte gehen, aber die Nutzung der Rolltreppe wäre unmöglich, entgegnete ihm der Rollstuhlfahrer.
Was tun?, fragte sich Marsand. Dem Mann stand ein Umweg von circa anderthalb Stunden bevor, nur wegen des fast immer defekten Fahrstuhles. Zeitgleich lief eine weitere S-Bahn auf dem Nachbarbahnsteig ein. Aus ihr stieg die „Lösung“ des Problems. Marsand berichtet: „Zu den Reisenden gehörte auch eine Gruppe von acht Heranwachsenden. Sie trugen eingeschnittene Hosen, waren alle tätowiert, hatten Piercings in Nasen, Wangen und Ohren. Die gefärbten hochstehenden seitlich rasierten Haare gaben ein buntes Bild ab, aus einem mitgeführten Radio erklang laute Musik. Nun bin ich zwar ein toleranter Mensch, aber einen erstaunten Blick konnte ich nicht verbergen.“
Laut Marsand schaute ein hochgewachsener junger Mann von kräftiger Statur zum Rollstuhlfahrer und ihm. Der vermeintliche Anführer der Gruppe blieb stehen und signalisierte schließlich mit seiner hocherhobenen Hand seine Freunde ebenfalls zum Stoppen. „Die Gruppe blieb stehen – und kam auf mich und den Rollstuhlfahrer zu. Mir wurde mulmig. War mein zweifelnder Blick zu offenkundig gewesen? Aber einmal mehr zeigte sich, dass äußere Eindrücke täuschen können, denn: Ich erklärte die Situation, er sprach mit seinen Begleitern und gemeinsam trugen sie erst den Rollstuhl die Treppe hinauf und stützten dann die dazu gehörige Person. Auf unseren Dank antworteten sie, dass sei doch kein Problem gewesen, sie hätten gerne geholfen, gibt Marsand die Aussage der Helfer wieder. Deren Anführer habe ihn nochmals gemustert. Marsand will aus seinen Augen Folgendes „gelesen“ haben: „So schlimm sind wir gar nicht. Ob Anzugträger mit Lackschuhen und ledernen Aktentaschen auch auf euch zugekommen wären?“