„Vergessen Sie Max Frisch“

pm -Henty C. Brinker (re.) hatte Wolf Wondratschek zur Vorstellung seines neuen Buches nach Harburg eingeladen.

„Vergessen Sie Max Frisch“.

Soiree mit Wolf Wondratschek im Speicher am Kaufhauskanal.

„Sie bleiben“, knurrt Wolf Wondratschek, als der Verfasser dieser Zeilen sich am Mittwoch anschickte, nach getaner Arbeit den Raum zu verlassen. Das Knurren war ein freundliches Granteln und der Poet – „um Gottes Willen, schreiben Sie bloß nicht Lyriker“ -, mit dem wir eingangs noch über seine frühen Gedichte geplaudert hatte, entließ den Redakteur – bei einem Glas Rotwein verharrend – gelassen und freundlich gestimmt in die Nacht. Eingeladen hatte zu diesem Abend – „Lesung mit Wolf Wondratschek“ aus seinem jüngsten Roman „Selbstbildnis mit Russischem Klavier“ – Henry C. Brinker, seines Zeichens Chef im Speicher am Kaufhauskanal. Die beiden Herren kennen sich seit 20 Jahren, was sich als Vorteil entpuppen sollte. Die Lesung war dann eher eine Soiree mit leichten Happening-Charakter, eine intime, ja persönliche Runde aus 15 Personen (the happy few), mit denen Wondratschek gefällig plauderte.
Dass er nur wenige Zeilen aus dem neuen Buch las („Achtung: keine Strandlektüre!“), störte keinen der Anwesenden wirklich. Gleichwohl knüpfte der Autor – bezugnehmend auf Zeilen aus seinen Neuling – an Themen an, die man bei ihm a) zunächst nicht unbedingt erwartet hätte – die klassische Musik; und b) in ihrer epischen Ausführung dann doch als Wondratschek erkannte, zumindest als Wondratschek-Kenner. Henry C. Brinker, Kulturmanager und in der Welt der Klassik zuhause, war auch an diesem Abend ein kongenialer Gesprächspartner, spielte dem Mann, der in Wien zuhause ist, Bälle zu – oftmals auch als provokante Thesen, die Wondratschek – nicht ohne eine Portion Selbstverliebtheit – dankbar aufnahm und den Anwesenden nicht nur einen Einblick in sein mittlerweile von Altersweisheit geprägtes Seelenleben offerierte, was er in metaphernreichen Formulierungen festmachte, sondern auch über Begegnungen mit interessanten Personen (Karajan), Kritikern wie Marcel Reich-Ranicki, die ihn rezensiert haben, oder berühmten Leuten (Friedrich Dürrenmatt), die ihn bis heute faszinieren. „Vergessen Sie Max Frisch“, gab er in diesem Zusammenhang zu Protokoll und nahm, wie zum Beweis für die Größe seines Favoriten, das Auditorium mit zu einer nächtlichen Gesprächsrunde, die nach nicht wenigen Flaschen Wein erst am frühen Morgen endete. Da war das Thema „Langsamkeit in der Musik“, dem in dem neuen Buch (Wondratschek: „Ist es nicht wirklich unüberbietbar gut?“ – rhetorische Frage mit einem leicht ironischen Unterton) eine gewisse Wertigkeit zusteht, schon längst wieder ad acta gelegt. Die Fans hingen unverändert an Wondratscheks Lippen. Der 76-Jährige dachte gar nicht daran, diese Runde zu verlassen, denn in seinem Hotel gebe es keine Bar oder Lobby, an der man sich mit jemandem austauschen könne, mehr noch, wenn ihm auf seinem Zimmer etwas zustoße, bekäme es ja gar keiner mit. Also zog er es vor, im Speicher zu verweilen – sagte es und bestellte ein Glas Rotwein.