Streitigkeiten um Wilhelmsburger Stadtteilbeirat

Der Beirat für Stadtteilentwicklung Wilhelmsburg ein Gremium zur Bürgerbeteiligung

Streitigkeiten um Wilhelmsburger Stadtteilbeirat.

Bürgerbeteiligung bleibt auf der Strecke.

Eigentlich ist der Beirat für Stadtteilentwicklung Wilhelmsburg ein Gremium zur Bürgerbeteiligung. Die ehrenamtlichen Mitglieder werden für drei Jahre durch den Regionalausschuss Wilhelmsburg/Veddel in das Gremium gewählt. Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger vertreten dabei „ihr“ Quartier in Wilhelmsburg, 14 Stück gibt es insgesamt. Doch derzeit bleibt die Bürgerbeteiligung in Wilhelmsburg auf der Strecke, denn es knirscht gewaltig zwischen Beiratsmitgliedern, ehemaligen Beiratsmitgliedern, der Lokalpolitik, der Verwaltung und interessierten Bürgern Wilhelmsburgs. Der Streit fand seinen Höhepunkt im Abbruch der letzten Sitzung Mitte März.
Seinen Ursprung hat der Streit in der Wahl neuer Beiratsmitglieder. Die Wahl hätte eigentlich bereits im Januar 2020 stattfinden sollen, wurde aber durch fehlende Bewerber für einzelne Quartiere und coronabedingt immer wieder verschoben. In der Zwischenzeit arbeitete der alte Vorstand weiter wie bisher. Am Wahlabend im Oktober letzten Jahres kam es zu einer Überraschung: Der langjährige Vorsitzende des Beirats, Lutz Cassel, wurde in der demokratischen, geheimen Wahl nicht wiedergewählt, kann so auch nicht wieder Vorsitzender werden. Cassel selber sieht kurz nach der Entscheidung darin „so etwas wie eine Strafaktion, weil ich nicht gerade bequem bin“, erkenne die Wahl dennoch an.
Also „Kungelei im Hinterzimmer, die Abwahl sei eine große politische Dummheit“, „man werte diese Vorgehensweise auch als Frontalangriff auf den Beirat insgesamt und als den Versuch, den Beirat zu schwächen“, kritisierte ein Befürworter Cassels in einem Schreiben an Michael Weinreich, Vorsitzender des Regionalausschusses und SPD-Bürgerschaftsabgeordneter, das Ergebnis. Und forderte zudem: „Wenn das gestern eine Art von Bestrafung gewesen sein sollte, dann habt ihr in der Bezirksversammlung (mir ist klar, das du nicht Mitglied der Bezirksversammlung bist, aber als Vorsitzender des Ausschusses hast du sehr wohl Einflussmöglichkeiten) noch die Gelegenheit, dies zu korrigieren.“
Harte Vorwürfe und Forderungen, die dazu beitrugen, die Fronten zwischen den Beteiligten zu verhärten. Weinreich bestreitet die Vorwürfe. „Es gab keine Absprachen zu seiner Abwahl! Wir als SPD-Fraktion setzen uns seit Jahren für die Finanzierung des Beirates ein und wollen nicht den Beirat schwächen.“ Und Weinreich weiter: „Bürgerbeteiligung ist eine wichtige Säule der demokratischen Willensbildung. Daher soll der Beirat inhaltlich unabhängig agieren können. Dies ist mir wichtig. Es gibt aber einen rechtlichen Rahmen. Die Bezirksversammlung hat den Beirat ins Leben gerufen und der Regionalausschuss wählt die Mitglieder. Das Ergebnis dieser geheimen Wahl des Regionalausschusses nicht anzuerkennen, ist inakzeptabel und schädigt dem Beirat als Ganzes. Die demokratischen Grundprinzipien sind die Grundlage unserer Zusammenarbeit und müssen akzeptiert werden, damit die inhaltliche Arbeit im Beirat beginnen kann.“
Obwohl nicht mehr in den Beirat gewählt und Beiratsbetreuerin Christine Hill aus gesundheitlichen Gründen verhindert, „hat der alte Vorstand sich in seiner Gesamtheit als Übergangsvorstand verstanden und zu einer Konstituierenden Sitzung (digital) am 9. Dezember 2020 eingeladen“, erinnert sich Lutz Cassel. Die fand jedoch nicht statt, denn laut des Regionalbeauftragten Christian Rudolph hätte Cassel nicht zu der Sitzung einladen dürfen, weil er kein gewählter Quartiersvertreter sei. Die Entrüstung seitens Cassel und Co. folgte auf dem Fuß. Auch die rechtliche Abklärung dieses Vorgangs innerhalb der Verwaltung löste die verhärteten Fronten nicht. Viele E-Mails, unter anderem auch von Lutz Cassel selber, wurden ob der unterschiedlichen Einschätzungen der Situation an die Beiratsmitglieder verschickt.
In der für Mitte März geplanten, digitalen Sitzung wollten dann die Beteiligten über die verfahrene Situation sprechen. Doch aus der öffentlichen Sitzung wurde keine zwei Stunden vorher seitens der Verwaltung eine nicht-öffentliche gemacht. Der Grund: Das Bezirksamt Hamburg-Mitte in Gestalt des Regionalbeauftragten habe die strittige Angelegenheit bezüglich der Causa Cassel in einer nichtöffentlichen Sitzung mit den Mitgliedern des Beirates diskutieren wollen“, heißt es in einem Schreiben an die Beiratsmitglieder im Nachhinein. Ein Affront für Teile des Beirats: Ich habe – auch oder gerade im Sinne der neuerlich einschränkenden Verfahrensweisen von Seiten des Regionalausschusses und der Verwaltung – kein Interesse an einer nicht öffentlichen Sitzung. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Herstellung von Öffentlichkeit nicht nur Pflicht im Sinne der Geschäftsordnung, sondern gleichwohl Voraussetzung für eine gelingende und transparente Bürgerbeteiligung ist. Der Beirat ist eine öffentliche und überparteiliche Diskussionsplattform“, schrieb beispielsweise Liesel Amelingmeyer. So kam es dann auch nicht zur Aussprache, die Sitzung wurde abgebrochen. Nun soll es am kommenden Montag, 12. April, eine außerordentliche Sitzung des Stadtteilbeirates geben. Interessierte können um 18.30 Uhr unter folgendem Link dem Zoom-Meeting beitreten: https://zoom.us/j/5270011675?pwd=UXJkMmdIUWFMeWVnYUVLYzFyTk1BZz09.
„Es ist erschreckend, wie einzelne aktuelle und ehemalige Mitglieder den Beirat missbrauchen, um ihre persönlichen Eitelkeiten und ihre politische Einstellung zu Staat und Gremien zur Schau zu stellen. Die Mitglieder des Beirats wurden in der seit fast dreißig Jahren gültigen Art und Weise durch den Regionalausschuss gewählt und durch die Bezirksversammlung für drei Jahre eingesetzt. Seit über sechs Monaten warten die Wilhelmsburger darauf, dass die gewählten Quartiersvertreter ihre inhaltliche Arbeit als beratendes Gremium für den Regionalausschuss aufnehmen können und sich der Probleme in den vierzehn verschiedenen Quartieren Wilhelmsburgs annehmen. Durch das Torpedieren dieser Arbeit auch durch diese wenigen Personen werden diese daran gehindert“, bewertet Jörn Frommann, CDU-Lokalpolitiker, die Angelegenheit.