SPD-Bundestagsabgeordneter Johannes Kahrs schmeißt hin

Da war die Welt noch in Ordnung: Johannes Kahrs (Mitte) Anfang Dezember vergangenen Jahres bei der Vorstellung der Sanierung des Museums Elbinsel Wilhelmsburg die er in diesem großen Rahmen erst durch die Beschaffung von Bundesgeldern ermöglicht hat. Foto: au

SPD-Bundestagsabgeordneter Johannes Kahrs schmeißt hin.

​​​​Kreis Hamburg-Mitte mit neuer Vorsitzenden.

​​​​​​Am Dienstagmorgen twitterte er noch ein fröhliches Moin, am Abend hatte der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete und Kreisvorsitzende der SPD Hamburg-Mitte, Johannes Kahrs, für ‚die‘ Schlagzeile des Tages gesorgt: Kahrs legt mit sofortiger Wirkung alle Ämter nieder. Und mit ‚alle‘ meint Kahrs auch alle: das Bundestagsmandat, seine Sprecherrolle beim „Seeheimer Kreis“, seinen Posten als haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion und seine politischen Ämter in Hamburg. Nur seine Mitgliedschaft in der SPD wolle er nicht beenden. Selbst seinen Facebook- und seinen Twitter-Account löschte der 56-Jährige, beides war bereits am Nachmittag nicht mehr zu erreichen. Auch die Homepage ist quasi lahmgelegt, lediglich die Erklärung für seinen Rücktritt ist nachzulesen: „Für das Jahr 2020 habe ich mir seit Langem einen persönlichen Neuanfang vorgenommen. Nach 21 Jahren im Deutschen Bundestag, seit fast 40 Jahren in der SPD, wird es Zeit, für mich andere Wege zu gehen. Ich wollte einen Neuanfang in der Politik. Da mir die Bundeswehr sehr am Herzen liegt, als Oberst der Reserve, ehemaliges Mitglied im Verteidigungsausschuss oder als langjähriger Berichterstatter für das Verteidigungsministerium im Haushaltsausschuss, hätte ich gerne für das Amt des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages kandidiert. Für das Amt des Wehrbeauftragten bewirbt man sich nicht, man wird vorgeschlagen. Der Fraktionsvorsitzende hat Eva Högl vorgeschlagen. Ich akzeptiere dies und wünsche ihr viel Erfolg. Nun suche ich außerhalb der Politik einen Neuanfang und trete mit Ablauf des 5. Mai 2020 von meinem Mandat und allen politischen Ämtern zurück. Ich danke all meinen Weggefährten, meinen Freunden und politischen Begleitern vieler Jahre. Ich bin meiner Partei zutiefst verbunden und wünsche ihr von ganzem Herzen Glück und Erfolg. Ihr Johannes Kahrs“. Ob das allein der wahre Grund für diesen einschneidenden Schritt gewesen ist, darüber wird derzeit nicht nur in den Medien wild diskutiert und spekuliert.
Entsetzen bei den einen, Frohlockung bei den anderen: Kahrs galt als umstritten, streitbar, ein Politiker, der die Strippen in der Hand hielt, viel Macht ausübte, auch in Wilhelmsburg. So trat zum Beispiel Wolfgang Marx, langjähriger Vorsitzender des SPD-Distrikts Wilhelmsburg-Ost, 2009 nicht mehr zur Wahl des Vorsitzenden an. In den Medien waren damals Gerüchte laut geworden, dass Kahrs die Wilhelmsburger SPD unterwandert habe und seinen Einfluss auszubauen versuche mit Hilfe von jungen Leuten, die dem Distrikt beigetreten seien.
Auf der anderen Seite hat der 56-Jährige in den vergangenen Jahren seiner politischen Tätigkeit für einen wahren Geldregen gesorgt, von dem auch der Süden Hamburgs enorm profitierte. „Johannes Kahrs war ein talentierter und engagierter Vollblutpolitiker. Er hat über 20 Jahre Hamburg im Bundestag vertreten und viele Projekte in unserer Stadt ermöglicht. Erst im letzten Jahr haben wir zusammen die Finanzierung des Neubaus des Wilhelmsburger Ruder Club, das Quartiershaus der Hamburg Towers und die Sanierung des Elbinselmuseums geschafft. Für eine klare Kante war er bekannt – besonders auch gegen die AfD. Es ist eine Zäsur für die SPD Hamburg-Mitte und es ist an der Zeit, danke zu sagen für viele Jahre vorbildlich Einsatzes“, erklärt dazu Michael Weinreich, Wilhelmsburger SPD-Bürgerschaftsabgeordneter. Erst im Dezember vergangenen Jahres stellte Johannes Kahrs zusammen mit Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) die Pläne für die Sanierung des Wilhelmsburger Heimatmuseums vor, dafür hatte er aus dem Bundeshaushalt 1,8 Millionen Euro locker gemacht.
Seine Nachfolge im Bundestag tritt nun die 42-jährige Dorothee Martin aus dem Wahlkreis Hamburg-Nord/Alstertal an, die erst im Februar erneut in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt wurde. Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit wurde zur kommissarischen Kreisvorsitzenden des gewählt.
Ohne noch vorher kleine Geschenke zu verteilen, ist Kahrs aber nicht gegangen. So konnte der Bundestagsabgeordnete kurz vor Mandatsabgabe im Rahmen des Denkmalschutz-Sonderprogramms die Förderung einiger Hamburger Projekte durchsetzen, darunter auch 405.000 Euro für die St. Nikolai-Kirche Finkenwerder, die bei der Sturmflut 1962 größere Schäden erlitten hatte und damit viel Hamburger Geschichte erzählt. Mit Hilfe der Bundesmittel kann eine nötige Grundsanierung möglich gemacht werden, sehr zur Freude von Ralf Neubauer, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter aus Finkenwerder. „Johannes Kahrs war als Politiker streitbar und umstritten, wie wenige in der Hamburger Politik. Aber dabei auch immer ein unermüdlicher, durchsetzungsstarker Arbeiter für seinen Wahlkreis, der Politik mit vielen Hunderten von Berlinfahrten, Frühschoppen und Hausbesuchen erlebbar gemacht hat und immer ein offenes Ohr für alle hatte. Für sein auf den letzten Metern noch eingefädeltes Abschiedsgeschenk an Finkenwerder, die Bundesförderung für die Sanierung der St. Nikolai-Kirche, und für seine immer mit einem hohen Arbeitspensum verbundene, starke Vertretung unseres Wahlkreises ist die Finkenwerder SPD und bin ich persönlich Johannes Kahrs sehr dankbar.“