Notiert: Gummiband ist das neue WC-Papier

Notiert: Gummiband ist das neue WC-Papier.

von Peter Müntz.

Hygiene – jeder weiß, was Sache ist; aber dass es tatsächlich auch den Beruf des Hygienikers gibt, dürfte den meisten von uns bis dato wohl weniger geläufig gewesen sein – allenfalls Deutschlehrern, die die Silbentrennung von im Alltag kaum genutzten Worten zu ihrem Hobby gemacht haben. Also: der Hy-gi-e-ni-ker. Corona hat ihn an die Oberfläche gespült. Gleiches gilt für den Begriff Reproduktionszahl. Hand aufs Herz: Hat bisher jemand jemals diesen Begriff bemüht? Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Auch eine Plexiglas- oder Spuckschutz-Scheibe fällt in diese Kategorie, mal ganz abgesehen davon, dass Plexiglasscheiben mittlerweile Mangelware sind. Das gleiche Schicksal dürfte bald auch den guten alten Zollstock ereilen. Die Schulen und der Einzelhandel haben bereits zugeschlagen. Wenn dann irgendwann auch die Gastronomie Maß nehmen muss …
Das alles erinnert ein wenig an Klopapier – man sehe dem Autor die Ausdrucksweise nach – das bisher, natürlich nur im übertragenen Sinne, „in aller Munde“ war. Wir halten es hier mit Ludwig Börne (1786-1837), Mitglied des „Jungen Deutschland“, der die Auffassung vertrat, dass die Literatur der Politik zu dienen habe. Überliefert ist von ihm unter anderem der Ausspruch: „Nichts ist dauernd als der Wechsel.“ Das trifft heute vor allen Dingen auf unsere Konsumgesellschaft zu. Beispiel gefällig? Was noch vor wenigen Tagen das WC-Papier war, ist heute das Gummiband. Jeder, der nicht gerade zwei linke Hände hat, versucht es und schneidert aktuell die benötigten Gesichtsmasken, und ja, das Gummiband ist alle. Sollte auch hier die Lieferkette bereits zusammengebrochen sein? Bei den medizinischen Masken hat das Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums ja bereits versagt … Zum Glück gibt es Arbeitskolleginnen, die mit Schere, Nadel und Faden umgehen können und ihre Kollegen mit dem neuen – nicht von allen geliebten – Accessoire versorgt haben (Der Neue RUF berichtete). Das aber soll nicht das eigentliche Thema sein. Ich also mit der Maske am Sonnabend zum Bäcker. Brötchen holen. Die Schlange ist lang, die Verkäuferin etwas genervt, ich bin höflich. Ein lockerer Spruch und ein nettes Lächeln verbunden mit einem Dankeschön helfen meistens. Nicht so heute. Ach ja, die Dame kann meine Gesichtszüge wegen der Atemmaske nicht erkennen, ich bin maskiert. Und auch weitere Bekannte lassen mich links liegen. Die neue Situation ist gewöhnungsbedürftig. Das wäre übrigens bis vor wenigen Tagen beim Besuch der Bank unseres Vertrauens wohl kaum möglich gewesen. Die Polizei wäre schneller vor Ort gewesen, als unser Vorstellungsvermögen das hergibt. Aber was gestern Gültigkeit hatte, muss heute nicht mehr gelten: Auch ein – hier nicht weiter verfolgter – philosophischer Ansatz.
Streit entbrannt ist jedenfalls über die 800 Quadratmeter. Dabei können wir uns glücklich schätzen: In Italien darf lediglich ein (1) Kunde einen Laden betreten, der nicht größer als 40 Quadratmeter ist. Dabei bestand die Gemütlichkeit gerade darin, seinen Espresso in der kleinstmöglichen Trattoria an der Ecke zu schlürfen. Tempora mutandi! Eines haben uns die Italiener allerdings voraus: Sie dürfen ihre Region wieder verlassen. Schleswig-Holstein wird das Klingeln nicht gerne vernommen haben!
Im Übrigen gilt unverändert (siehe der Neue RUF der letzten Wochen): „Nole mi tangere!“ (Dt: Rühr‘ mich/fass mich nicht an!).