Herr von Ribbeck oder Nis Randers?

privat -Walter Marsand liest Senioren vor

Herr von Ribbeck oder Nis Randers?.

„Buntes Lesebuch“ in der Seniorenresidenz.

Immer mittwochs warten in der Seniorenresidenz Neugraben einige Bewohner sehnsüchtig auf Walter Marsand. Der engagierte Neugrabener, der unter anderen auch Grundschulkindern Geschichten vorliest, wird bei seiner Ankunft bereits freundlich begrüßt. Versammelt sind überwiegend weibliche Personen. Einige sitzen im Rollstuhl, eine große Anzahl von Rollatoren parkt an der Wand. Auf seine Begrüßung „Moin, Moin in die Runde“ kommt die Antwort „Moin, Walter“.
Mitgebracht hatte Marsand für seine jüngste anderthalbstündige Leserunde mit dem Namen „Buntes Lesebuch“ einige Gedichte, plattdeutsche Kurzgeschichten und Zeilen von Ephraim Kishon. Wenn die Liste der Wünsche nicht unter einen Hut zu bringen ist, heißt es Kopf oder Zahl. Oft wird auf Gedichte aus der Kindheit zurückgegriffen. Die Favoriten waren zuletzt „Nis Randers“ von Otto Ernst, „John Maynard“ von Theodor Fontane und als absoluter Höhepunkt „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“, ebenfalls von Theodor Fontane. „Erstaunt war ich immer wieder, wie zurückliegende Zeilen aus der Kindheit in Erinnerung traten und aus zögernden Erinnerungen oft – mit etwas Hilfe – viele Textzeilen entstanden. Es ist schon ein eigenartig Ding, unser Gehirn“, stellt Marsand fest.
Nach rund 30 Minuten wird eine kleine Pause einlegt. Gebäck, Kaffee oder Tee stehen bereit. Es wird zugegriffen. Kurze Unterhaltungen entspannen sich über seine Person, Fragen beantwortet Marsand gerne. Der Vortragende zeigt seinerseits Interesse an Lebenswegen, Ereignissen und Schicksalen der Zuhörerschaft. Man plaudert – oft auch auf Plattdüttsch – schließlich über Gott und die Welt.
Ebenfalls Anklang finden die plattdeutschen Kurzgeschichten, wie beispielsweise von Reimer Bull. „Sie waren von Humor geprägt, hatten aber auch ernste, nachdenkliche Passagen und benötigten mehr Aufmerksamkeit. Wenn der Blick in die Runde zeigte, dass die Konzentration teilweise langsam nachließ, wurde noch einmal das Wasserglas erhoben und mit einem „Prost, bis nächsten Mittwoch“ der Lesebesuch beendet“, weiß Marsand zu berichten.
Auf dem Heimweg denkt Marsand daran, wie wenig erforderlich es sei, um Personen, die bereits einen langen Lebensweg zurückgelegt haben und gesundheitlich nicht mehr auf der Höhe sind, ein bisschen Freude und Abwechslung in den Tagesablauf zu bringen. Es brauche nur ein wenig Zeit, Aufmerksamkeit und Zuwendung. Und er stellte sich die Frage, wie der Herbst/Winter seines Lebens aussehen wird. „Werde ich am Fahrstuhl sitzen und um eine Zeitung bitten? Oder wird in meinem Kopf – wie bei Nis Randers – krachen und heulen und berstende Nacht herrschen? Oder werde ich – wie John Maynard – mit dem Schiff „Schwalbe“ über den Eriesee fahren und Menschen retten? Oder – wie Herr von Ribbeck – leuchtende und herrlich schmeckende Birnen an Kinder verschenken?“, sinniert Marsand.