Besuch aus Italien

marsand -Heiner Schultz hielt eine bewegende Rede

Besuch aus Italien.

Geenken: Schicksal italienischer Militärinternierter in Neugraben.

Im 2. Weltkrieg, vor 78 Jahren, am 8. September 1943, kapitulierte die italienische Armee vor den alliierten Truppen. Die damals mit der Wehrmacht des nationalsozialistischen Deutschen Reiches verbündeten Soldaten standen vor der Entscheidung, weiter an der Seite der Deutschen zu kämpfen oder sich in ihre Gefangenschaft zu begeben. Drei Viertel der italienischen Soldaten entschieden sich für die Gefangenschaft. 600.000 Kriegsgefangene wurden ins Deutsche Reich deportiert und als „Militärinternierte“ bezeichnet, um sie völkerrechtswidrig zur Zwangsarbeit heranziehen zu können.
Die Hamburger Kriegswirtschaft brauchte zu diesem Zeitpunkt händeringend neue Arbeitskräfte, und es wurden von mehr als 500 Firmen ca. 15.000 italienische Militärinternierte (kurz: IMI) angefordert und zunächst in großen Lagern und leergeräumten Schulen untergebracht, bevor sie auf kleinere Lager verteilt als Zwangsarbeiter unter unmenschlichen Bedingungen u.a. beim Behelfsheimbau für ausgebombte Hamburger Familien, der Trümmerbeseitigung, aber auch der Rüstungsproduktion zum Einsatz kamen.
Die Harburger Baufirmen August Prien, Malo, Gizzi und Weseloh waren vier von mehr als 60 Harburger Firmen, die ab dem Herbst 1943 „IMIs“ einsetzten. 500 von ihnen waren, bei kärglicher Kost, für die Firma Prien beim Aufbau der Behelfsheimsiedlung Neugraben beschäftigt. Untergebracht waren sie in den Wohnbaracken am Falkenbergsweg, in denen sich anschließend vom September 1944 bis zum Februar 1945 das KZ-Außenlager Neugraben befand.
An diese Zusammenhänge erinnerte der 1. Vorsitzende des Kulturhauses Süderelbe, Stephan Kaiser, der als Mitglied der Geschichtswerkstatt Süderelbearchiv, gemeinsam mit Holger Artus von der „Projektgruppe italienische Militärinternierte in Hamburg“ am Freitag, dem 10. September zu einer Gedenkveranstaltung am Falkenbergsweg eingeladen hatte. Anlass war der Hamburg-Besuch von Orlando Materassi, dem Präsidenten der Nationalen Vereinigung der ehemaligen italienischen Militärinternierten (ANEI), und von Silvia Pascale, die sich als Lehrerin und Forscherin seit vielen Jahren mit dem Schicksal der IMI beschäftigt.
Für beide hatte die Projektgruppe ein umfangreiches Besuchsprogramm bei Hamburger Einrichtungen organisiert, mit dem Ziel, dass „ein gemeinsames Engagement von Institutionen, Schulen, Verbänden und Fachleuten auf diesem Gebiet notwendig ist, um Bildungsprogramme zu entwickeln, die die Erinnerung und das Gedenken lebendig halten“, so Orlando Materassi bei seiner Ansprache am Gedenkstein für die 500 meist jüdischen Insassinnen des ehemaligen KZ-Außenlagers.
Dort erinnerte Silvia Pascale vor den anwesenden Schülern, Lehrern und dem Schulleiter des Gymnasiums Süderelbe, Thomas Fritsche, an „die Pflicht, „Wächter der Erinnerung“ zu sein und alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit sich solche Gräuel nie wiederholen, und dass die Schulen die Aufgabe haben, die junge Generation zu einer Gesellschaft zu erziehen, die auf den Grundlagen des Friedens, der Toleranz und der Akzeptanz des anderen beruht.“ Die Schüler erkundigten sich bei den ANEi-Repräsentanten unter anderem nach den Lebensbedingungen der Gefangenen, nach den Firmen, die von der Zwangsarbeit profitierten und nach der verweigerten Entschädigung nach dem Krieg.
Diesen Aufgaben schloss sich der 1. Vorsitzende der Siedlergemeinschaft Falkenberg, Dirk Janssen, an. Die von den italienischen Militärinternierten und den KZ-Insassinnen errichteten Behelfsheime sind die Keimzelle der heutigen „Falkenbergsiedlung“ und Dirk Janssen sieht das Engagement der Siedlergemeinschaft an diesem Gedenkort nicht nur als eine „Erinnerung an die Vergangenheit, sondern auch als eine Verpflichtung für die Zukunft, damit nie wieder Menschen in Deutschland ein solches Unrecht erleiden müssen.“
Der Regionalbeauftragte für den Raum Süderelbe, Thorsten Schulz, hob in seiner Ansprache, in Vertretung der Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen, hervor, dass die ehrenamtliche Arbeit zum Erhalt und der Fortentwicklung der Erinnerungskultur in unserer Region für das gesellschaftliche Zusammenleben von zentraler Bedeutung sei.
Erinnerungen an die Vergangenheit und Mahnungen für die Zukunft wären an diesem Ort in dieser eindrücklichen Art und Weise nicht möglich, wenn sich Heiner Schultz über Jahrzehnte nicht nur der Erforschung der leidvollen Lebensgeschichten der KZ-Insassinnen gewidmet hätte. In seiner Ansprache im Namen der Stiftung KZ-Gedenkstätte Neuengamme und der Initiative Gedenken in Harburg verwies er auf die ideelle und materielle Unterstützung seitens „Behörden, Archiven, Kirchengemeinden, Äberlebenden, Bürgern der Region, einigen Firmen, Abgeordneten und der Presse“, ohne deren Zusammenspiel mit seinen beiden Fischbeker Mitstreitern und den beiden genannten Vereinen „es sicherlich nicht gelungen wäre, diesen Ort so zu erhalten, wie er ist.“
Im Zuge dieser Gedenkveranstaltung legten Orlando Materassi und Silvia Pascale an den Stolpersteinen am Falkenbergsweg Blumen nieder und gedachten der Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Für die Oberstufenschüler des Gymnasiums standen die beiden auch für Fragen zur Verfügung. Die Antworten werden in die weiteren Planungen der beiden Profilkurse für ihre Projektarbeiten zur Geschichte des KZ-Außenlagers am Falkenbergsweg mit einfließen. „Besonders perfide: Nach dem Krieg wurden die Äberlebenden dann doch als Kriegsgefangene betrachtet – weil Deutschland sich so die Entschädigungen ersparte, die ihnen zugestanden hätten, wenn man sie (korrekterweise) als Zwangsarbeiter eingestuft hätte“, so Oliver Domzalski, Schatzmeister Bündnis 90/Die Grünen, Kreisverband Harburg.
Auch konnten die italienischen Gäste in einem Gespräch mit Manuel Sarrazin, dem Hamburger Bundestagsabgeordneten von Bündnis90/Die Grünen, Möglichkeiten zur weiteren Finanzierung der Erinnerungsarbeit durch den deutsch-italienischen Geschichtsfonds erörtern.
Stephan Kaiser äußerte sich sehr zufrieden über den Verlauf der Gedenkveranstaltung, „die mit etwa 70 Besuchern trotz des pünktlich einsetzenden Dauerregens gut besucht war und hoffentlich vor allem den jungen Menschen Anregungen für ihr weiteres Arbeiten zu diesem Ort gegeben hat.“