„Meister und Master muss die Devise lauten“

pm -Hans Peter Wollseifer: Der Klimaschutz ist eine Chance für das Handwerk

„Meister und Master muss die Devise lauten“.

ZdH-Präsident Wollseifer beim Empfang des Harburger Handwerks.

Es gehört seit 30 Jahren zur guten Tradition in Harburg, das Jahr mit dem Grünkohlessen des Harburger Handwerks zu beschließen und den Partnern des Handwerks aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung im geselligen Rahmen Dank zu sagen – seit fünf Jahren in den HTB-Räumen auf der Jahnhöhe. Etwa 150 Gäste begrüßte der Bezirkshandwerksmeister Peter Henning am Mittwoch gemeinsam mit seinen beiden Stellvertretern Dierk Eisenschmidt und Rainer Kalbe. Gastredner war in diesem Jahr Hans Peter Wollseifer, seit 2014 Präsident des Zentralverbandes des deutschen Handwerks (ZdH). Als dessen Präsident vertritt er die Belange des Handwerks auf Bundesebene. Wie sich dies gestaltet und mit welchen Unwägbarkeiten man dabei rechnen muss, erfuhren die Gäste aus erster Hand. Zum Abschluss gibt es für alle traditionell deftigen Grünkohl.
Wollseifer holte in seiner Rede weit aus und machte außer Aspekten und Problemen des Handwerks auch die Wahlergebnisse aus Thüringen zum Thema – weil sie so besonders ausgefallen waren. Die Parteien der Mitte – CDU, FDP, SPD und Grüne – können im Landtag gemeinsam keine Mehrheit mehr stellen! Die Wähler hatten es vorgezogen, ihre Stimmen zwei Parteien am rechten bzw. am linken Rand des Spektrums zu geben. Das mache ihn als Bürger und ZdH-Präsident besorgt. Es sei ein Ergebnis, „das einen nicht kaltlassen darf“, weil es ein Alarmsignal sei – „und das 30 Jahre nach dem Mauerfall!“ Für ihn unverständlich, angesichts der Erfolge aus den letzten drei Jahrzehnten. Er mache sich Sorgen um den gesellschaftlichen und politischen Zusammenhalt. Der werde am Auseinanderdriften der Gesellschaft und auch am Verfall der Sitten deutlich. Besonders der Ton in den sozialen Medien sei oft mehr als „ekelhaft.“ Was man dort nach dem Sturz des Wirtschaftsmimisters Peter Altmaier im Bundestag über diesen Politiker „ausgekübelt“ habe, habe seine Vorstellungen von einem zivilisierten Miteinander zutiefst erschüttert. „Die augenblickliche Lage in Deutschland ist ein Auftrag an uns alle, auch an das Handwerk, weil wir ein Spiegel der Geselschaft sind“, fuhr der Gast fort. Die Verantwortung aber liege nicht allein bei der Politik, „sondern bei jedem von uns.“ Gerade der Mittelstand sei – und so müsse es auch in Zukunft sein – „der Motor des sozialen Zusammenhalts. Und wenn es diesen Motor nicht gäbe, müsse man ihn unbedingt erfinden.“
Die Politik müsse sich intensiver als bisher um die Sorgen und Nöte der Menschen vor deren eigenen Haustür kümmern, forderte der Redner, statt sich monatelang mit Personalfragen zu befassen und ein Schaulaufen der Kandiaten nach dem anderen – statt eine „Casting-Show der Sozialdemokraten zur Ermittlung ihres Führungspersonals“ – zu veranstalten: „Die SPD sucht den Supersozi“, so seine Worte mit einem gequälten Lächeln. Aber auch die CDU überzeuge im Augenblick nicht.
Probleme des Handwerks sei beispielsweise eine fehlende grundlegene Steuerreform, die das Handwerk auf den Märkten konkurrenzfähig machen würde, Sozialabgaben, die 40 % nicht überschreiten dürften oder ein Abbau der überbordenden Bürokratie, die allein schon mit 5 Millionen zu Buche steht. Die aktuell beschlossene Entlastung um eine Million sei zu wenig. Das Handwerk aber müsse Zeit für seine Kunden haben und sich nicht mit Papieren für die Verwaltung befassen.
Mit Chance – wenn die Bundesregierung in diesem Jahr nicht noch auseinanderbricht – unterliegen ab 1. Januar 12 Berufe ab 2020 der Meisterpflicht, „ein starkes Signal für Qualität, denn Meisterbetriebe bilden aus.“ Die niedrige Jugendarbeitslosigkeit sei nicht zuletzt auch ein Ausdruck des Meisterbriefs, der so etwas wie eine „Absicherung gegen Arbeitslosigkeit“ sei. Insgesamt müsse die Politik viel mehr an die Leistungsträger der Gesellschaft denken, „die Deutschland am Laufen halten.“ Es sei außerdem nicht nachvollziebar, dass 50 % des Bundeshaushalts für Zwecke des Sozialstaates verwendet werden. Die Folge davon sei, „dass wir beispielsweise weltweit in der Digitalisierung hinterherherhinken“, so Wollseifer weiter. Der Klimaschutz sei hingegen eine Chance für das Handwerk, „weil das Handwerk die Energiewende rein praktisch umsetzt.“ Allerdings dürfe der Klimaschutz keine Arbeitsplätze kosten.
Ein weiteres Problem seien die zahlreichen unbesetzten Stellen im Handwerk. Die Erkenntnis des ZdH-Präsidenten: Viele Betriebe melden ihre offenen Stellen gar nicht erst, weil sie wissen, dass sie nicht besetzt werden können. Eine viertel Million solcher Stellen sei einfach zuviel. Das aber liege auch daran, dass viel zu viele Jugendliche zum Abitur geführt würden, nämlich 60 Prozent. Zu lange habe man gepredigt, dass allein der Abitur-Abschluss wertvoll sei. Wollseifer: „Da stimmt etwas nicht.“ Seine Forderung: „Meister und Master muss die Devise lauten.“
In ihrer Begrüßungsrede hatte die Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen eingangs von dem „Handwerk als Wirtschaftsmacht von nebenan“ gesprochen und auf das bezirkliche Flächenkonzept verwiesen, dass die Bezirksversammlung im Februar beschlossen hatte. Harburg sei ein großer Gewerbestandort, sowohl in peripheren Flächen als auch wohnortnah.
Wollseifer, der aus dem Rheinland angereist kam, hatte eingangs den Elbcampus des Handwerks in Neuland besucht. „Darauf können sie wirklich stolz sein“, stellte er fest. Weniger stolz könne man hingegen auf die Verkehrsprobleme in der Stadt sein. Sein Flug aus Köln nach Hamburg habe nicht so lange gedauert wie der Weg vom Flughafen nach Harburg. Die Harburger nickten und ließen vor ihrem geistigen Auge die Baustellen in Harburg vorbeiziehen. Ein unrühmliches Kapitel, das an diesem Abend nicht weiter vertieft wurde. Allein die Suche nach Parkplätzen gestaltete sich abenteuerlich, weil ein Teil des bisherigen Waldparkplatzes am Vahrenwinkelweg aus fadenscheinigen Gründen gesperrt worden war. Die Besucher wichen in die angrenzenden Wohngebiete aus und die Veranstaltung begann mit einer beinahe halbstündigen Verspätung.