„Grenzwerte werden eklatant überschritten“

pm -Günter Bosien

„Grenzwerte werden eklatant überschritten“.

An der Eiche: Rönneburger fordern unverändert eine Schallschutzwand.

Frage: Wo wohnst du? „In Rönneburg, An der Eiche.“ Eine Antwort, der auf den ersten Blick ein Hauch von (deutscher) Romantik innewohnt. Aber auf den zweiten Blick? Auf den zweiten Blick bleibt davon wenig übrig. Da wackeln Schränke und das gute Porzellan auf den Regalen (die Gläser sowieso), und Bilder an den Wänden müssen in regelmäßigen Abständen zurechtgerückt werden. Der Grund: Hier, wir befinden uns in Rönneburg, donnern die Züge in starker Frequenz an den Grundstücken vorbei. Erschütterungen und Lärm sind seit Jahren die Folge, die betroffenen Rönneburger macht es mürbe. Dann die nächste Hiobsbotschaft. „Um Engpässe am Eisenbahnknoten Hamburg zu beseitigen und den Knotenpunkt zukünftiger noch leistungsfähiger zu machen, wurden mehrere Infrastrukturmaßnahmen beschlossen“, hieß es in einer Mitteilung der DB Netz.

Die Visualisierung des Überwerfungsbauwerks, Blick von Süden.

Die Rönneburger wurden hellhörig, ahnten sie doch, was auf sie zukommen würde: noch mehr Lärm. Und in der Tat: Die zweigleisige Strecke im Bereich Rönneburg/Meckelfeld wird auf vier Gleise ausgebaut. Im Zuge dieser Maßnahme wird das vorhandene, so genannte „Überwerfungsbauwerk“, eine Art Brücke zur Kreuzung von parallel verlaufenden Bahngleisen auf unterschiedlichen Höhen, erweitert. Folge eins: So müssen zukünftige Güterzüge von und zum Rangierbahnhof Maschen nicht mehr aufeinander warten, um sich gegenseitig passieren zu lassen. Folge zwei: Der Lärm wird mehr. Schon jetzt werden in Rönneburg entlang der Strecke 70 bis 75 Dezibel (eine Waschmaschine im Schleudergang) gemessen, weit mehr, als verträglich ist. Und das soll jetzt mehr werden, fragt Günther Bosien, der ebendort wohnt. Eine berechtigte Frage, zumal es entlang der Strecke lediglich für Meckelfeld Lärmschutz, u.a. in Form einer Lärmschutzwand, gibt, nicht aber für die Rönneburger. Das versteht man vor Ort nicht. „Wir haben den gleichen Anspruch wie die Meckelfelder“, so Bosien, ohne einen Keil zwischen die Nachbarn diesseits und jenseits der Landesgrenze treiben zu wollen.
Am Dienstag hatte die DB Netz unter dem Motto „Blick in die Zukunft“ zu einer Informationsveranstaltung in das niedersächsische Fleestedt eingeladen – dass sich die Nachbarn aus dem hamburgischen Rönneburg ebenfalls im Fleester Hoff einfanden, lag auf der Hand. Henry Benedict, Leiter Regionaler Querschnitt der RB Nord (Großprojekte), erläuterte zunächst das Bauvorhaben, bevor Markus Schwieger, der von der DB Netz beauftragte Schallgutachter, die Schallschutzmaßnahmen erläuterte. Weil in Rönneburg maximal neun Häuser betroffen seien, stünden die Kosten für einen, wie in Meckelfeld, aktiven Lärmschutz in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Aufwand. Grundlage sei ein normiertes Rechnungsverfahren und nicht eine lokale Messung, die je nach Wetterlage unterschiedlich ausfallen könne, so Schwieger. Deshalb biete man in Rönneburg passiven Lärmschutz an, wie beispielsweise Schallschutzfenster. Ein schwacher Trost, fanden die anwesenden 50 Rönneburger, sei doch bis 2030 mit einem Zuwachs der Güterzugverkehre auf 250 pro Tag zu rechnen, weiß der CDU-Abgeordnete in der Bezirksversammlung, Martin Hoschützky.
Günter Bosien erinnerte daran, dass es schon 1997/98 versäumt worden war, nach dem Bau des Kreuzungsbauwerks für entsprechenden Lärmschutz zu sorgen. Natürlich begrüße man die Verlagerung von Güterströmen von der Straße auf die Schiene, dann aber bitte nur Hand in Hand mit aktivem Lärmschutz. Schon vor 20 Jahren habe sich das Rechenmodell der Bahn als falsch erwiesen, erinnerte Bosien. Nicht einmal die Windrichtung sei damals richtig erfasst worden. Deshalb sei die Frage berechtigt, weshalb das jetzt anders sein solle. Bosien: „Wir wollen keinen passiven Lärmschutz an unseren Häusern. Wir wollen nicht nur in unseren Häusern leben, sondern im Sommer auch draußen auf unseren Grundstücken. Darum muss der aktive Lärmschutz her, auch vor dem Hintergrund einer Gleichbehandlung mit Niedersachsen.“ Zwar könne laut Schweiger die Planfeststellungsbehörde im Einzelfall auch einen aktiven Lärmschutz vorschreiben. Das sei in diesem Fall aber nicht zu erwarten.
Die Versorgung der Baustelle soll hauptsächlich schienengebunden erfolgen, doch wird Baustellenverkehr über die Straße Reller nicht zu vermeiden sein, erklärte eine Vertreterin der DB Netz. Auch sei es vorstellbar, dass im Bereich von „Vossloh“ ein Betonwerk zur Versorgung der Baustelle entsteht. Auch sei nächtliche Baulärmbelästigung nicht vollkommen auszuschließen. Die öffentliche Auslegung der Planungsunterlagen soll beizeiten angekündigt werden, hieß es. Der Planfeststellungsbeschluss könnte dann im 2. Quartal 2021 erfolgen. Baubeginn im dritten Quartal. Mit der Fertigstellung wird im Jahr 2026 gerechnet. Insgesamt werden 4,1 Kilometer Gleise, 19 Weichen, 540 m neue Rampen sowie der 190 m lange Erweiterungsbau des Überwerfunbgsbauwerks gebaut.
Die Veranstaltung der DB Netz am Dienstag hat nichts daran geändert: Der Unmut der Bürger bleibt, sie fühlen sich, und das einhellig, ohnmächtig, ja fassungslos, weil die DB Netz, wie sie an diesem Abend durchaus eingeräumt habe, von den Belastungen für die Rönneburger Kenntnis habe.
Nicht zum ersten Mal befasst sich jetzt auch die Bezirksversammlung mit dem Thema. Sie bekräftigt ihre bisherigen Beschlüsse und fordert die Verkehrsbehörde in Hamburg auf, sich bei der DB Netz dafür einzusetzen, dass die im Raum Meckelfeld geplante 3 m hohe Schallschutzwand „auf dem Überwerfungsbauwerk auf Hamburger Gebiet fortgeführt wird und ebenso aktive Schallschutzmaßnahmen im Bereich der Gleise unterhalb des Brückenbauwerkes ergriffen werden.“ Sie sind sich sicher: Nur noch der Gang zum Rechtsanwalt könne helfen, „falls der Senat nicht endlich aufwacht und uns beim Planfeststellungsverfahren unterstützt. Denn nur so wird es etwas“, sagt ein sichtlich erboster Günter Bosien. Am 9. Februar hatte der Neue RUF schon einmal unter dem Titel „Bahn darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen – Rönneburger fordern Lärmschutz“ berichtet. An diesen Forderungen hat sich nichts geändert.