Als Fahrradfahren noch zelebriert wurde

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Als Fahrradfahren noch zelebriert wurde.

Ausstellung erzählt Harburger Fahrradgeschichten.

Der Zeitpunkt hätte nicht treffender sein können. Wenige Tage, nachdem Frank Plambeck aus Harburg seine Ehrung im Hamburger Rathaus abholen durfte (siehe gesonderter Bericht), lud das Museum für Stadtgeschichte am Donnerstag zur Eröffnung einer Ausstellung ein, die eben das zum Thema macht, was Plambeck seit Jahrzehnten umtreibt: Der Radsport in Harburg.
Das Stadtmuseum Harburg präsentiert ab sofort eine neue digitale Ausstellung: „Harburger Fahrradgeschichten.“
In Harburg wird seit den 1950er-Jahren Radsportgeschichte geschrieben. Jens Brauer, Leiter der Abteilung Harburger Stadtgeschichte am Stadtmuseum Harburg: „Das Stadtmuseum Harburg macht sich mit einer neuen digitalen Ausstellung auf die Suche nach diesem heute fast vergessenen Kapitel der Harburger Sportgeschichte. Die Webstory „Harburger Fahrradgeschichte(n)“ wirft einen Blick zurück in die 50er- und 60er-Jahre, als sich Harburg zu einem Mekka des Radsports in Norddeutschlands entwickelte.“ Zwei Harburger Radsportlegenden, Karl-Heinz Knabenreich und Jürgen Baranski – beide bei der Eröffnung anwesend – haben dazu ihren großen Fundus an historischen Fotos (etwa 100 haben dann Eingang in die Ausstellung gefunden), Programmheften und Plakaten zur Verfügung gestellt. Ihre Geschichten von den zahlreichen Rennen, die sie auch persönlich in Harburg absolviert haben, lassen die Rennatmosphäre von damals wieder auferstehen.
Aktuell ist Harburgs Zukunft als fahrradfreundlicher Stadtteil im Fokus, doch auch ein Blick in Harburgs vergangene Fahrradgeschichte lohnt sich, denn schon in den 1950er-Jahren war Harburg eine Hochburg des Radrennsports. 70 Jahre später bietet das Stadtmuseum Harburg mit seiner neuen digitalen Ausstellung „Harburger Fahrradgeschichte(n)“ spannende stadthistorische Einblicke in diese Ära.
So galt zum Beispiel das Rundstreckenrennen um den Großen Phoenix-Preis seinerzeit als das schwerste seiner Art in Norddeutschland und zog Jahr für Jahr Zehntausende an die Strecke in Eißendorf. 1951 fand das Rennen erstmals statt und im selben Jahr wurde auch der „Radsport Verein »ELBE« Harburg 1951″ gegründet. Wenige Jahre später war Baranski dann dessen 1. Vorsitzender. „Über 20.000 Zuschauer aller Altersklassen – sie zahlten 20 Pfennig Eintritt – machten die Rennen um den Rundkurs in Eißendorf in den 1950er-Jahren zu einem Sport-Spektakel der Extraklasse“, erinnern sich Baranski und Knabenreich, die damals selbst aktiv – und erfolgreich – waren. Die zahlreichen Rennfotos dokumentieren dabei auch Harburger Stadtentwicklung in der Nachkriegszeit. Als das Rundstreckenrennen 1951 zum ersten Mal ausgetragen wurde, lagen ganze Straßenzüge noch in Trümmern. Baranski: „Wir fuhren regelrecht durch eine Trümmerlandschaft.“ Erst nach und nach wurden die Baulücken geschlossen. Zehntausende säumten damals die Rennstrecke an der Denickestraße (Start/Ziel), Gazertstraße oder Thörlstraße. Radsport war neben Boxen die beliebteste Sportdirziplin.
Die großen Erfolge des „RV Elbe Harburg“, sowohl auf der Rennstrecke als auch bei der Organisation von Radrennen, fand schließlich deutschlandweit Beachtung. Auch der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) wurde auf Harburg und den „RV Elbe Harburg“ aufmerksam. So gelang es dem Verein, Harburg zwischen 1980 und 2017 zum Austragungsort von nicht weniger als zehn Deutschen Meisterschaften in verschiedenen Disziplinen zu machen.
Diese „goldene Ära“ des Harburger Radsports haben Baranski (Jahrgang 1935) und Knabenreich geprägt und hautnah miterlebt: Jürgen Baranski gibt in der Ausstellung Einblicke in seine persönliche Renntaktik beim „Großen Phoenix-Preis“ 1952 (die Phoenix und das Tempo-Werk traten als Sponsoren auf), den er auf seiner Hausstrecke fast gewonnen hätte. Das bei Regen besonders glatte Kopfsteinpflaster lag ihm. Start und Ziel waren immer in der Denickestraße. Er nutzte an der Ecke Gazertstraße/Denickestraße, die für zahlreiche Stürze berühmt-berüchtig war (und deshalb auch sehr viele Zuschauer anzog), einfach den … Rinnstein. Alsbald sprach man von der Baranski-Kurve.
Zum Publikumsliebling wurde damals mit zwei Siegen 1952 und 1953 der Neugrabener Albert Mußfeld (1928 – 2005). Er gehörte seinerzeit zu den erfolgreichsten deutschen Radrennfahrern und schaffte aus eigener Kraft den Sprung in die Nationalmannschaft – damals ein Radsport-Idol für viele. Sogar das deutsche Nationaltrikot trug er bei der WM in Schweden.
Auch Karl-Heinz Knabenreich (Jahrgang 1937) ist dem Harburger Radsport immer noch aufs Engste verbunden. Er kennt den enormen Aufwand, den die Organisation von Veranstaltungen dieser Größenordnung erfordert und hat alle Höhen und Tiefen des Radsports in Harburg und in Deutschland miterlebt.
Besonders gerne erinnert sich Baranski an die BMX-Rennen, die während der 1980er-Jahre auf einer Strecke auf der ehemaligen Mülldeponie an der Hörstener Straße stattfanden, während Knabenreich von den Aschenbahnrennen im Außenmühlenstadion (das es längst nicht mehr gibt) schwärmt. Beinahe jeder Bezirk oder Stadtteil habe damals sein eigenes – und erfolgreiches – Rennen gehabt, wissen die beiden.
1999 schlossen sich drei Harburger Radsportvereine zur „Harburger Radsport Gemeinschaft von 1951“ (HRG) zusammen. Die Jahreszahl in dem Vereinsnamen ist unverkennbar das historische Erbe des „RV Elbe“. Die Vereinsarbeit wird heute von einem der erfolgreichsten deutschen Radsport-Ehepaare geprägt: Susanne und Frank Plambeck aus Harburg. Beide sammelten in den 80er- und 90er-Jahren Deutsche Meistertitel. Ihr Sohn ist in ihre Fußstapfen gestiegen. Die Veränderungen in den Städten ließen das heute leider nicht mehr zu, bedauern sie. Beispiele? Die Hamburger Bergmeisterschaft in Neugraben oder der Pepsi-Preis in Marmstorf. Die Auflagen und Gebühren seien für solche Rennen ins unermessliche gewachsen, berichtetet Plambeck, der schon mehr als einmal drauf und dran war, aufzuhören. Doch die Begeisterung des Nachwuchses – selbst wenn nur wenige den Weg in die Vereine finden (175 verzeichnet die HRG aktuell) – haben ihn immer wieder bewogen, weiterzumachen. Deshalb wird auch in diesem Jahr in Harburg – wie immer am 2. Weihnachtstag (26. Dezember) – das traditionelle Crossrennen stattfinden. Diesmal am Schwarzenberg.
Auch für 2022 ist im Binnenhafen auf einem Rundkurs ein Jubiläums-Rennen geplant, im Mai oder im Juli. „Wir sind dran und wollen die Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen dafür gewinnen“, kündigte Plambeck an.
Die Harburger Fahrradgeschichten erzählen auch von einem Harburger Fahrradpionier des 19. Jahrhunderts und seinem „Knochenschüttler“, dem erfindungsreichen Brüderpaar Gottlieb und Wilhelm Rost. Sie hatten in der Harburger Rathausstraße und in der Eißendorfer Straße um 1900, als Radfahrer noch belächelt wurden, ein Fahrradgeschäft. Es war eine Zeit, in der Fahrradfahren noch zelebriert wurde, bald aber schon massentauglich wurde, wenngleich ein solches Fortbewegungsmittel damals um die 50 kg (!!!) wog.
Ab sofort können Interessierte auf der Webseite des Museums unter amh.de/harburger-fahrradgeschichten in die Harburger Fahrradhistorie eintauchen und sich auf eine digitale Tour mit spannend aufbereiteten Fakten und außergewöhnlichen stadthistorischen Einblicken machen.