Wahl des Bezirksamtsleiters gescheitert

Wahl des Bezirksamtsleiters gescheitert

Zukunft der Großen Koalition gefährdet?

Die Wahl eines neuen Bezirksamtsleiters für Harburg ist am Dienstag gescheitert. Sie war notwendig geworden, weil der Bezirksamtsleiter Thomas Völsch, 59, (SPD) im Herbst nach kurzer schwerer Krankheit gestorben war.
Nach 33 Minuten war am 26. Juni die Sitzung des Bezirksversammlung die unter Tagesordnungspunkt 5 eigentlich den oder die Völsch-Nachfolger(in) wählen wollte, nach Abstimmung über einige Formalien beendet. Rekordverdächtig! Zumal knapp 20 Minuten bei der Beratung des Ältestenrates verstrichen, für dessen Einberufung die Vorsitzende der Bezirksversammlung (BV), Birgit Rajski, die Sitzung noch bevor sie eigentlich begonnen hatte, unterbrechen musste. Ergebnis der Beratung des Ältestenrates: Die vorgesehene Wahl des Bezirksamtsleiters wurde von der Tagesordnung genommen, eine Debatte darüber war nicht vorgesehen, und auch Barbara Lewy, Abgeordnete der Neuen Liberalen (NL), die das Rednerpult förmlich enterte, obwohl ihr das BV-Präsidium kein Rederecht einräumte, kam nicht zu Wort.
Umso wortreicher war nach Sitzungsende der (parteiübergreifende) Austausch zwischen den Abgeordneten. Das Mitteilungsbedürfnis war offenbar groß. In Gruppen und Grüppchen standen die Abgeordneten auf den Rathausfluren und vor dem Rathaus und ließen ihren Gedanken, Ideen und Mutmaßungen freien Lauf – oder man war bereits auf Stimmensuche für eventuell neue Mehrheiten jenseits der Großen Koalition für die Wahl des Bezirksamtsleiters, die eventuell im September erfolgen könnte.
Von den urspürünglich 18 Bewerbern waren zuletzt noch drei im Rennen geblieben: Sophie Fredenhagen (parteilos), die in der Vergangenheit bereits als Jugendamtsleiterin für die Harburger Verwaltung tätig war (und mit den Örtlichkeiten sowie Abläufen vertraut ist, was ihr zum Vorteil gereichen würde), und heute in Buxtehude arbeitet, Anders Petra Gerlach, eine Verwaltungsfrau mit CDU-Parteibuch (was die Harburger Christdemokraten nie interessiert haben soll), die sich erst vor Ort einarbeiten müsste, sowie schließlich Maik Schwartau aus Schleswig Holstein, dem dem Vernehmen nach nicht wirklich große Chancen eingeräumt worden sein sollen. Die CDU als Partei – die Fraktion soll sich mehrheitlich auch für Fredenhagen ausgesprochen haben – tat sich indessen schwer mit Sophie Fredenhagen und in ihren Reihen soll es nicht wenige geben, die diese Personalie ablehnen. Sie würde bei ihrer Wahl auch die Vorgesetzte der Sozialdezernentin Anke Jobmann werden, die auf einem CDU-Ticket fährt. Zwischen Jobmann und Fredenhagen aber soll es knistern, bestätigten Insider.
Dass in der Sitzung am 26. Juni nicht alles zwingend glatt laufen würde war abzusehen, weil der Ältestenrat und auch der Koalitionsausschuss die bereits zuvor zusammengetreten waren, ohne klare Präferenz auseinandergingen. Sind das nun schlechte Vorzeichen für die Zukunft der Großen Koalition (GroKo) aus SPD (der stärkere Partner) und der CDU? Auf Fraktionsebene ist man sich weitestgehend darüber einig, dass die GroKo am Leben erhalten werden soll. Die CDU sieht diese Entwicklung zumindest nach außen hin gelassen. Man werde während der nächsten Tage und Wochen miteinander reden (müssen), hieß es unter den Abgeordneten, und der stellv. CDU-Fraktionsvorsitzende Rainer Bliefernicht orakelte, dass man sich am Dienstag nicht das letzte Mal in diesem Sommer im Rathaus getroffen habe. Gereizter sieht das die SPD. Sie hatte für Mittwoch eine Sitzung des Kreisvorstandes einberufen. Dort einigte man sich auf die Einberufung einer Kreisdelegiertenversammlung am 7. Juli. Wenn die SPD auf Fredenhagen beharrt, könnte die GroKo zerbrechen, die SPD müsste und könnte auch (wenn sie denn wollte) bis zu den im nächsten Jahr fälligen Wahlen (zeitgleich mit der Europawahl im Mai) mit wechselnden Mehrheiten regieren. Ein entsprechendes Angebot hatten ihr Grüne und Linke schon einmal gemacht. Die SPD hatte abgelehnt.
Begonnen hatte das Ungemach damit, dass die Harburger SPD, der als größter Fraktion das Vorschlagsrecht für einen Völsch-Nachfolger zustand, in den Reihen ihrer eigenen Partei keinen passenden Kandidaten gefunden hatte. Folge 1: Die Stelle musste ausgeschrieben werden. Folge 2: Siehe oben, verbunden mit dem Umstand, dass sich die CDU nicht mehr in der Pflicht sah, den auf diese Weise auserkorenen SPD-Kandidaten zwingend mitzutragen. In die Karten lassen sich die Christdemokraten aktuell aber nicht schauen. Bei der Frage nach der Zukunft der GroKo blieben sie betont gelassen.
Als „unwürdig und beschämend“ bezeichnet hingegen Carsten Schuster (FDP) das Schauspiel, das die GroKo böte. Schuster: „Der schwierigen Aufgabe, eine Bezirksamtsleitung für Harburg zu finden, können und wollen SPD und CDU nicht gerecht werden. Das Gebaren der Großen Koalition erinnert an das Dauertheater in Berlin und ist absolut unwürdig und beschämend – besonders für die drei Kandidatinnen und Kandidaten, die nach einer bundesweiten Ausschreibung in die engere Auswahl gekommen sind, sich in stundenlangen Bewerbungsgesprächen, geduldig präsentiert haben und deren Namen trotz vereinbarter Verschwiegenheit in die Öffentlichkeit gelangt sind.“
„Es waren sich alle Fraktionen einig, dass diese drei auf jeden Fall für das Amt der Bezirksamtsleitung grundsätzlich infrage kommen“, so die beiden FDP-Abgeordneten Viktoria Isabell Ehlers und Carsten Schuster. Die Bewerbungsgespräche waren nach ihrem Eindruck professionell und von großer Ernsthaftigkeit geprägt. Natürlich liege es in der Natur der Sache, dass sich 51 Abgeordnete nicht einig sein werden, wer das Rennen machen soll, so Schuster weiter, „aber die Absage der Wahl einer neuen Bezirksamtsleitung durch SPD und CDU wirft auf die gesamte Harburger Bezirksversammlung ein schlechtes Licht. Unter dem Strich ist die Absage nicht der fehlenden Kompetenz der Bewerberinnen und des Bewerbers geschuldet, sondern der Unfähigkeit sich in der Koalition zu einigen, bzw. dem Mut der Koalition sich gegebenenfalls für unterschiedliche Personen zu entscheiden.“ Die beiden FDP-Abgeordneten hatten sich entschieden und entsprechend gewählt, aber, so Schuster, „unter diesen Umständen kann man das den Kandidaten nicht zumuten.“ Seine Empfehlung: „Die Große Koalition sollte spätestens jetzt zur der Erkenntnis kommen, dass diese Koalition gescheitert ist und zurückkehren zu einer vernünftigen Politik mit wechselnden Mehrheiten zum Wohle und nicht zum Schaden Harburgs!“
Die AfD-Fraktion in der Harburger Bezirksversammlung bedauert, dass sich die Besetzung der Stelle des Bezirksamtsleiters wahrscheinlich für mehrere Wochen verzögern wird. Ulf Bischoff, Fraktionsvorsitzender der AfD: „Unsere Fraktion hat eine klare Präferenz für die Wahl gehabt. Wir haben am Freitag im Ältestenrat auch gesagt, auf wen unsere Wahl gefallen wäre.“ Die AfD hätte sich auch eine geheime Abstimmung mit mehreren Kandidaten in der Bezirksversammlung vorstellen können. Bischof weiter: „Bislang ist das Auswahlverfahren gut und konstruktiv abgelaufen. Jetzt sind interne Querelen bei der großen Koalition zwischen SPD und CDU Schuld an der Verzögerung.“