„Historische Entscheidungen in kürzester Zeit“

priv. -Um im Plenum den notwendigen Sicherheitsabstand zu wahren mussten manche Abgeordnete ± wie auch Metin Hakverdi ± ausnahmsweise auf der Zuschauertribüne sitzen

„Historische Entscheidungen in kürzester Zeit“.

Ein Bericht von Metin Hakverdi aus dem Bundestag.

Der Bundestag hat am Mittwoch in Berlin einen 600 Milliarden-Rettungsschirm beschlossen. Er soll Unternehmen und Arbeitsplätze retten. Als Bundestagsabgeordneter für Harburg, Wilhelmsburg und Bergedorf war auch Metin Hakverdi (SPD) dabei. Er berichtet: „Die Corona-Epidemie hat die aktuelle Sitzungswoche des Deutschen Bundestages zu einem einzigartigen Ereignis gemacht. Es begann damit, dass nicht von Anfang an sicher war, ob die Sitzungswoche überhaupt stattfinden kann – eine Tatsache, die mich unruhig machte. Das Parlament ist die Lebensader unserer Demokratie. Allzu lange können wir nicht auf sie verzichten.
Statt in fünf mussten wir unsere Arbeit in zwei Tagen erledigen – von Sitzungswoche konnte also kaum die Rede sein. Das betraf besonders den Nachtragshaushalt mit dem Hilfspaket, für den die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ausgesetzt werden muss. Dafür ist eine Kanzlermehrheit erforderlich.
Viele Abstimmungen, die in den Arbeitsgruppen und den Ausschüssen stattfinden, erfolgten in dieser Sitzungswoche im Vorfeld mittels Telefonkonferenzen. Die parlamentarische Beteiligung an dem Regierungsentwurf war damit zu jeder Zeit möglich und hat sich auch ganz konkret auf den Haushaltsentwurf ausgewirkt.
Der zweite Unterschied zu den gewöhnlichen Sitzungswochen betraf für mich die Anreise nach Berlin. Seit meiner Wahl in den Deutschen Bundestag nehme ich die Bahn, um von Hamburg nach Berlin zu kommen. Unter den aktuellen Rahmenbedingungen habe ich mich für die Fahrt mit dem privaten Auto entschieden. Es war die längste Strecke, die ich in den letzten Jahren so zurückgelegt habe. Im Auto hatte ich viel Zeit, über die Herausforderungen nachzudenken, die vor uns liegen – und die Ereignisse der vergangenen Tage ein wenig zu ordnen, durchzuatmen und zur Ruhe zu kommen.
Anders war dann auch die Fraktionssitzung. Unser Saal ist so vorbereitet, dass an jedem Sitzplatz der Corona-Abstand gewahrt ist. Das sind ca. eineinhalb Meter zwischen jedem Stuhl. Nicht alle Kolleginnen und Kollegen finden im Sitzungssaal Platz. Dies führt zu einer gänzlich anderen Atmosphäre in der Fraktionssitzung. Der übliche Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen findet weder vor noch nach der Fraktionssitzung statt. Alle waren fokussiert und entschlossen, die aktuelle Krise zu bewältigen. Olaf Scholz brachte es auf den Punkt. ‚Am Ende kann es ein Gewinn für die Demokratie und den demokratischen Staat sein, wenn er zeigt, dass er mit dieser Situation umgehen und sie bewältigen kann‘, sagte er.
Auf die Plenardebatte werden wir mit einem Brief von Wolfgang Schäuble, unserem Parlamentspräsidenten, vorbereitet. Er informiert uns über die Maßnahmen, die im Plenarsaal ergriffen werden, damit eine Ansteckung mit dem Coronavirus ausgeschlossen wird. Dafür sollen z. B. die Türen zum Plenum offenbleiben.
Der Corona-Abstand ist auch im Plenarsaal eingehalten. Die Stühle sind so markiert, dass die Abgeordneten mit einem angemessenen Abstand zueinander Platz nehmen – oder, wie ich, gleich auf der Zuschauertribüne sitzen. Ohnehin fordert uns Wolfgang Schäuble auf, nur an den Tagesordnungspunkten teilzunehmen, die unseren Sachbereich direkt betreffen. Die übrige Debatte können wir im Livestream verfolgen.
Die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie haben auch die Rahmenbedingungen der parlamentarischen Arbeit verändert. Für alle Beteiligten bedeutet es einen zusätzlichen organisatorischen Aufwand. Diese Einschränkungen haben aber die Leistungsfähigkeit parlamentarischer Demokratie nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil, angesichts der Krise haben wir Entscheidungen von historischer Dimension in kürzester Zeit beschlossen. Die Krisenreaktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages war enorm. Wir haben die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages so angepasst, dass auch in der Krise die Beschlussfähigkeit des Parlaments gewahrt ist. Wir haben ein Hilfspaket von historischer Dimension auf den Weg gebracht, der die Krisenschäden abfedern kann.
Wenn wir später auf diese Tage zurückblicken, darf diese historische Leistung des deutschen Parlamentarismus nicht vergessen werden.“