Demokratie ist nicht selbstverständlich

A. Wiese -In ihren Reden wiesen die Bundesministerin der Verteidigung Christine Lamprecht und die Präsidentin der Deutschen Bundestages Bärbel Bas auf die Besonderheit des 20. Juli 1944 hin

Demokratie ist nicht selbstverständlich.

Gedenkfeier zum Jahrestag des Attentats vom 20. Juli 1944.

Anlässlich des 78. Jahrestages des Attentats vom 20. Juli 1944 konnten die Veranstaltungen erstmals wieder in Präsenz stattfinden. Auch in diesem Jahr nahmen wieder zahlreiche Mitglieder des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold – Bund aktiver Demokraten e.V. am traditionellen Gelöbnis und der Gedenkfeier in Berlin teil. Auch der Landesverband Hamburg war wieder mit einigen Mitgliedern, darunter auch das Reichsbanner-Mitglied und der AWO-Kreisvorsitzende Arend Wiese, vertreten.
In diesem Jahr fand die Gedenkveranstaltung an der Hinrichtungsstätte Plötzensee statt. Hieran nahmen zahlreiche Repräsentanten verschiedener Organisationen und Staaten, sowie die Repräsentanten der Verfassungsorgane und des Berliner Senats teil. Viele Nachfahren aus den inzwischen vier Generationen der damaligen Widerständler, darunter auch Graf Bernhard von Stauffenberg, fanden sich zur Gedenkfeier in der Gedenkstätte, in der viele der Widerständler ermordet wurden, ein.
Besonders die Rede der Oppositionsführerin aus Belarus, Swetlana Tichanowskaja, beeindruckte. So konnte sie vor allem aus ihrer eigenen Biographie viele Anknüpfungspunkte nennen. Aus dieser eigenen Erfahrung erklärte sie den Anwesenden, wie wichtig es ist, gegen totalitäre oder andere antidemokratische Staatsformen Widerstand zu üben. Sie ergänzte, dass diese Entscheidung des Einzelnen, Widerstand auszuüben, auch Auswirkungen auf die Familien haben. Erläutern konnte sie dieses vor allem aus eigener Erfahrung: Sie selber musste mit ihren Kindern nach Litauen ins Exil flüchten; ihr Mann wurde zwischenzeitlich zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Und so konnte sie neben den historischen Ansätzen auch aus den jüngsten Entwicklungen, nicht nur in ihrem Heimatland, berichten. Wichtig war für sie, dass wir uns immer wieder vor Augen halten müssen, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist, sondern jeder ist aufgefordert, sich täglich für ihren Bestand einzusetzen.
Vor allem ihre eigenen Erfahrungen waren es, die viele der Anwesenden aus den Familien der damaligen Widerständler nachvollziehen konnten. Erstmals in der Geschichte dieser Veranstaltung gab es im Anschluss der Rede von Tichanowskaja einen minutenlangen Applaus, der auch sie sichtlich berührte.
Im Anschluss an die Gedenkfeier fand das traditionelle öffentliche Gelöbnis auf dem Paradeplatz am Bundesverteidigungsministerium in Berlin statt. Hier legen seit über 20 Jahren die Rekruten am 20. Juli ihr Gelöbnis ab. Auch in diesem Jahr begann die Veranstaltung mit einem Platzkonzert des Musikkorps der Bundeswehr. Anschließend fand das feierliche Gelöbnis von über 400 Soldaten, die am 4. Juli 2022 ihren Dienst angetreten waren, statt. Fußnote am Rande: Während der Zeremonie kippten – verursacht durch die große Hitze – einige der Rekruten einfach um. Sanitäter mussten sich um sie kümmern.
In ihren Reden wiesen die Bundesministerin der Verteidigung, Christine Lamprecht, und die Präsidentin des Deutschen Bundestages, Bärbel Bas, auf die Besonderheit des heutigen Tages hin. Erwähnt wurde, dass die Männer des 20. Juli 1944 mit ihrer Tat für die ihnen anvertrauten Soldaten handelten. Sie wollten das verbrecherische Regime von innen heraus stürzen, um den sinnlos gewordenen Krieg zu beenden und die Herrschaft des Rechts wiederherzustellen und Deutschland die Rückkehr in die Völkergemeinschaft zu ermöglichen. Beide riefen die Soldaten dazu auf, sich gegen Hetze, Hass, Ausgrenzung und Spaltung zu stellen. Sie sicherten ihnen zugleich zu, dass der Deutsche Bundestag, die Bundesregierung und die deutsche Bevölkerung hinter ihnen stehen werde, bei ihrem Dienst für die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland.
Während Lamprecht vor allem auf den 20. Juli 1944 einging und das Attentat nur als Teil des letztendlich geplanten Putsches gegen das verbrecherische System der damaligen Zeit in den Mittelpunkt ihrer Ansprache stellte, ging die Präsidentin des Bundestages vor allem auf die gegenwärtigen Aufgaben der Bundeswehr ein. Sie erwähnte vor allem den Ukraine-Konflikt und das neue strategische Konzept der NATO. Durch die sog. Zeitenwende steht die Bundeswehr im Zentrum der Veränderung und Modernisierung. Sie erklärte eindrucksvoll, dass die Bundeswehr in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark benachteiligt und dort zu viel gespart wurde. Durch die Schaffung des Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden Euro soll dieser Kurs korrigiert und die Bundeswehr für die Zukunft besser aufgestellt und ausgerüstet werden.
Ein besonders Kapitel in der Gedenkstätte ist einer Organisation gewidmet, die bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten für die Demokratie eingesetzt und gekämpft hat. Zur Veranschaulichung der Aktivitäten des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold für die Demokratie wurde hier ein „Schaudepot“ eingerichtet, in dem viele Exponate (inzwischen über 6.000 Originalexponate – die meisten davon aus Hamburg) aus der damaligen Zeit archiviert sind. Es ist ein lebendiges Schaudepot mit vielen eindrucksvollen Funktionalitäten. Es ist ein Ort zum Erleben und kein Museum. Daneben gibt es die Ausstellung des Reichsbanners „Für eine starke Republik!“. Diese Ausstellung des Reichsbanners wird in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand bundesweit an Schulen und anderen Institutionen gezeigt. Podiumsdiskussionen mit Zeitzeugen und regionalen Politikern sind ein wichtiger Bestandteil der heutigen Bildungsarbeit des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold.
Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold wurde am 22. Februar 1924 von Demokraten aus SPD, DDP und Zentrumspartei gegründet, um gemeinsam die noch junge Demokratie in der Weimarer Republik zu schützen. Ab 1932 kämpften Reichsbanner, SPD, Gewerkschaften und der Arbeiter Turn- und Sportbund in der Eisernen Front gegen die Nationalsozialisten. Im März 1933 wurde das Reichsbanner von den Nationalsozialisten zerschlagen, seine Mitglieder verfolgt.