
Nicht zu unterschätzender Stellenwert.
Ein Kleinod zur Erholung: 100 Jahre Gartenbauverein „Reiherhop 2“.
Dass in den Jahren 1919/1920 zahlreiche Gartenbauvereine gegründet wurden, ist kein Zufall. In den ersten Jahren nach dem ersten Weltkrieg war die Versorgungslage der Menschen nicht gerade rosig. Eine kleine Parzelle in einem Gartenbauverein konnte da schon Wunder bewirken. Am 7. August 1919 kam es im Restaurant von Peter Voß in der Bremer Straße 29 zu einer außerordentlichen Versammlung zukünftiger Pächter der Grotheschen Ländereien an der Talstraße, entstanden aus dem Lehen der ehemaligen Fürsten zu Harburg (Verpächter war 1919 der Gartenbaudirektor Hoff) „zwecks Gründung eines Gartenbauvereins“, lesen wir in der Chronik. Weiter heißt es dort: „Zweck der Zusammenschließung soll sein, Förderung des Kleingartenvereins, gemeinsame Beschaffung von Saatgut und Düngemittel.“ Zum 1. Vorsitzenden wählten die gut 86 Anwesenden Domenikus Moje, sein Stellvertreter wurde H. Jakobs, das Amt des Schriftführers übernahm Fritz Reinstorff, der fortan in altdeutscher Schrift das Vereinsleben in Kladden festhielt. Einstimmig einigte man sich an diesem Tag auf den Namen „Gartenbauverein Reiherhop 2“. 41.070 Quadratmeter standen zur Verfügung, die Pacht betrug 4 Pfennig je Quadratmeter. Bereits am 4. September feierte man ein gemeinsames Vereinsfest. Sommerfeste und ein 1. Stiftungsfest folgten. Das alles ist jetzt 100 Jahre her, in denen sich viel verändert hat. Der Gartenbauverein – heute 187 Mtglieder – hat auch den 2. Weltkrieg überlebt und in den folgenden Jahrzehnten auch zahlreiche Begehrlichkeiten. Sowohl die Universität Hamburg als auch die damalige TU Harburg hatten ein Auge auf diese Fläche zwischen Gottschalkring und Steinickestraße geworfen. Für zwei Hochhäuser am Gottschalkring und in der Bandelstraße musste der Verein schließlich 510 Quadratmeter abgeben. Heute ist der Gartenbauverein Teil der grünen Lunge Harburgs. Vom 9. bis 11. August soll dieses 100. Jubiläum nun gefeiert werden. Der Vorstand um seinen 1. Vorsitzenden Manfred Materla sowie Annett Kurras und Heike Riemann vom Festausschuss hat ein Programm ausgearbeitet, das am 9. August um 18.30 Uhr mit einem (internen) Jubiläumsumtrunk und Live-Musik von Dennis Adamus im Vereinssaal beginnt. Der 10. August beginnt mit einem Kinderfest und vielen Überraschungen sowie einem gemütlichen Café nebst Flohmarkt. Ab 19 Uhr laden die Veranstalter zum Tanz ein und die besonders schönen Gärten werden prämiert. Am 11. August folgt dann ab 11 Uhr noch ein Jazzfrühschoppen mit selbstorganisiertem Brunch.
Gastredner hat der Gartenbauverein nicht eingeladen. Doch es kann gelten, was der Bezirksamtsleiter Michael Ulrich (SPD) 1994 für die Festschrift zum 75. Jubiläum schrieb: „Kleingartenvereine haben vorzugsweise in der Großstadt einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert. Sie bieten dem vom Alltagsstress geplagten Bürger die Möglichkeit, sich in sinnvoller Weise in freier Natur zu betätigen und zu erholen. Gleichzeitig lockern sie das Stadtbild auf. 75 Jahre Vereinsgeschichte zeugen nicht nur von großem ideellen und materiellen Engagement vieler Vereinsmitglieder, sie sind auch Verpflichtung für die Zukunft.“ Eine neue Festschrift hat Reiherhop 2 nicht aufgelegt. Der Festausschuss sei mit der Vorbereitung der Jubiläumsfeierlichkeiten auch so schon voll ausgelastet gewesen, sagte Heike Riemann. Allerdings ist für Freitag, 27. September, ab 16 Uhr ein Klönschnack gemeinsam mit der Geschichtswerkstatt im Vereinssaal vorgesehen.
Zurück zur Geschichte. Bereits 1920 wurden weitere Ländereien gepachtet, Wegen der im Jahr 1919 wohl häufiger vorkommenden Diebstähle in Harburg beschloss man, zur Selbsthilfe zu greifen und Nachtwachen durchzuführen. Vier Waffenscheine wurden beantragt… Das Vereinsleben in den Jahren 1930-1945 ist in den Protokollen nur spärlich dokumentiert. Aber: 60 Bombentrichter wurden auf dem Gelände des Vereins gezählt, das Vereinshaus wurde Opfer der Bomben, es waren Tote zu beklagen. Nach Kriegsende erfüllten die Parzellen wieder jene Aufgaben, die sie bereits 1919 hatten. Auch ein neues Vereinshaus musste her. Man fand eine nicht mehr genutzte ehemalige Wehrmachtsbaracke in Neugraben (am Falkenbergsweg), die transloziert wurde. Zahlreiche verdiente Mitarbeiter der Phoenix-Werke bekamen für ihre Verdienste als Dank Parzellen zugewiesen – ein Anreiz auch für andere Werksarbeiter.
Nicht wenige der heutigen Pächter – wie zum Beispiel Heike Riemann – haben hier viele Jahre ihrer Kindheit im Kleingarten ihrer Eltern verbracht. Sie kennt die Anlage seit 53 Jahren. Nachdem Riemann selbst eine Familie gegründet hatte, stand für sie fest, dass sie ebenfalls eine Parzelle pachten würde. „Heute haben wir wieder zahlreiche junge Mitglieder in unseren Reihen, die hier Erholung suchen“, weiß der 1. Vorsitzende zu berichten. Er hat als einer der ganz Wenigen (insgesamt vier) seinen festen Wohnsitz in der Anlage und darf sich damit als „Dauergärtner“ bezeichnen. Hier dreht sich alles um die Lauben, die Blumen und das selbst gezogene Gemüse – Tierhaltung ist nicht erlaubt. Auch manch eine seltene Apfelsorte wächst noch hier. „Reiherhop 2“, das sind nicht einfach „nur“ Schrebergärten, sondern „ein Kleinod zur Erholung“, sagt der ehrenamtlich tätige Vorstand einstimmig. Allgemein bedauert der Vorstand, dass früher die Geselligkeit unter den Mitgliedern größer war. Es gab Clubs (auch einen Schützenclub) und es wurden Feste gefeiert – eine Gesellschaftspflege weit über den Gartenzaun hinaus. Doch müsse man sich heute – ein Zug der Zeit – dem Trend zum Individualismus beugen. Immerhin wollen sich 100 von 187 Pächtern und ihren Familien am Festwochenende beteiligen. Und über eine neue Jubiläumsflagge freut man sich auch. Manfred Materla: „Wir haben hier etwas, worauf wir wirklich stolz sein können.“



