„Das Unrecht in Erinnerung zu erhalten“

W. Marsand -Ein Gedenkstein erinnert bislang an die Leiden der Insasseninnen im KZ-Außenlager Neuengamme in Neugraben.

„Das Unrecht in Erinnerung zu erhalten“.

Einweihung einer Gedenk-Stele für das KZ-Außenlager Neugraben.

Heute kaum noch zu erkennen, befand sich vom 13. September 1944 bis zum 8. Februar 1945 am Falkenbergsweg das KZ-Außenlager Neugraben. Damals wurden hierher 500 überwiegend tschechische Frauen jüdischen Glaubens im Alter zwischen 16 und 46 Jahren verschleppt. Sie mussten in ständiger Unterernährung schwerste körperliche Zwangsarbeit in verschiedenen Firmen, im Straßenbau, Trümmerräumung, Panzergrabenbau und bei der Errichtung von Behelfsheimen in der Falkenbergsiedlung verrichten.
Eine Initiative aus Schülern des „Kultur und Sprache-Profils“ des Gymnasiums Süderelbe unter Leitung von Maryam Anwary, dem seit Jahrzehnten in der Geschichte des KZ-Außenlagers engagierten Heiner Schultz der Initiative Gedenken in Harburg, des Kulturhauses Süderelbe sowie der Siedlergemeinschaft Falkenberg von 1946 e.V., möchte nun mit Errichtung einer Gedenk-Stele „Das KZ vor unserer Haustür“ an das Leiden der Zwangsarbeiterinnen erinnern. Die Gedenk-Stele wird am 9. November 2020 im Falkenbergsweg an der Bushaltestelle Neugrabener Heideweg eingeweiht.
Heiner Schultz, der zusammen mit seiner Frau Karin und Gunter Buck seit Jahrzehnten die Geschichte des KZ-Außenlagers erforscht und Führungen auf dem Gelände durchführt: „Da es immer weniger Zeitzeugen gibt, ist es wichtig, das Unrecht in Erinnerung zu erhalten. Dazu trägt diese Gedenk-Stele im Sinne einer generationenübergreifenden Initiative von Neugrabener Bürgerinnen und Bürger bei.“
Mit einem Smartphone können umfassende Informationen zur Geschichte des KZ-Außenlagers Neugraben abgerufen werden, auf die ein auf der Gedenk-Stele angebrachter QR-Code führt. Stephan Kaiser, Leiter des Kulturhauses Süderelbe: „Die Stele direkt am Falkenbergsweg soll Anwohner und Besucher anregen, sich näher mit der Geschichte vor unserer Haustür zu beschäftigen.“
Die Informationen, die auf der Homepage des Süderelbe-Archivs hinterlegt sind, wurden von Schülern des „Kultur- und Sprache-Profils“ des Gymnasiums Süderelbe zusammengetragen. Anwary, Lehrerin des Gymnasiums Süderelbe und Leiterin des Profils: „Auch die auf der Gedenk-Stele aufgedruckte 3D-Simulation des Lagers wurde von einer Schüler*in erstellt.“ Laut Anwary soll dass das Schulprojekt mit dem Schülerjahrgang 2020 nicht enden: „Ich bin froh, dass die Schüler*innen des nachfolgenden Jahrgangs sich ebenfalls für die Fortsetzung der Projektarbeit am KZ-Außenlager ausgesprochen haben“, so Anwary.
Dirk Janssen, 1. Vorsitzender der Siedlergemeinschaft Falkenberg: „Als ich 2001 mit meiner Familie in unsere schöne Siedlung gezogen bin, wusste ich nicht, dass sich praktisch vor unserer Haustür ein KZ-Außenlager befand. Auch nicht, dass die Zwangsarbeiterinnen mit ihrer Schwerstarbeit, ihrer Gesundheit und oft auch mit ihrem Leben den Grundstein der Falkenbergsiedlung durch Bau der Behelfsheime für ausgebombte Hamburger gelegt haben.“ Die Siedlung wurde bis Mitte der 1960er-Jahre saniert, aus der Behelfsheimsiedlung wurde die heutige Falkenbergsiedlung. Doch noch heute kann man bei vielen Häusern in der Siedlung das ursprüngliche Behelfsheim erkennen, das durch Anbauten erweitert wurde.
„Dem Vorstand der Siedlergemeinschaft Falkenberg ist es daher wichtig, an die Geschichte unserer Siedlung zu erinnern. Gleichzeitig möchten wir ein Signal senden, dass die Grundwerte der Demokratie nicht selbstverständlich sind, sondern von uns allen gelebt und verteidigt werden müssen“, erläutert Janssen. Die Gedenk-Stele wird gefördert durch die Lokalen Partnerschaften für Demokratie Süderelbe, ein Projekt des Bezirksamtes Harburg im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie leben!
Thorsten Schulz, Dezernent für Bürgerservice und Regionalbeauftragter Süderelbe, erklärte: „Die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und den Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes ist von großer Bedeutung. Das Engagement derer, die sich für die Sichtbarkeit und die Erinnerung an diese Taten einsetzen und eine Auseinandersetzung ermöglichen, ist genauso bedeutsam. Die Kooperation verschiedenster Akteure zum Gedenken an diesen Teil der Neugrabener Geschichte beeindruckt mich. Ich danke allen Beteiligten für ihre wertvolle Arbeit.“
„Wir freuen uns sehr, dass endlich eine Gedenk-Stele auf diesen Ort hinweist und danken den Organisatoren von Herzen“, finden Henning Reh und Beate Pohlmann. Die beiden Vorsitzenden der SPD Neugraben-Fischbek haben für die Einweihung ihre eigene traditionelle Gedenkveranstaltung an der Gedenktafel am Neugrabener Markt umorganisiert. „Eigentlich wären wir und unsere Mitglieder zeitgleich am Neugrabener Markt, um dort unsere traditionelle Gedenkveranstaltung durchzuführen. Doch dieser Tag ist der Tag des gemeinsamen Gedenkens. Deshalb werden wir nun sowohl am Falkenbergsweg als auch am Markt der Ermordeten gedenken.“ Nach einem Besuch an der Stele durch die Vorsitzenden werden die Genossen, ganz Corona-Regelkonform, einzeln oder im Familienverbund über den Tag verteilt an der Gedenktafel am Markt erscheinen und jeweils einen Stein ablegen. Dabei lehnen sie sich an einen traditionellen Brauch im Judentum an: Wurde eine Bestattung vorgenommen, brachten Freunde oder Stammesverwandte einen Stein mit, um das Grab zu bedecken. Dieser Brauch hat sich bis heute gehalten.
Ralf-Dieter Fischer, Vorsitzender der CDU-Fraktion in der Bezirksversammlung, betonte: „Für uns ist wichtig, dass Geschichte vor Ort im Stadtteil sichtbar gemacht wird und bleibt.“