BWL-Crashkurs für Nichtökonomen.
Schüler produzieren eigene Tasche.
„Wir müssen jetzt einen Meilenstein setzen, welche Schritte wir bis zu den Weihnachtsferien geschafft haben wollen, sonst ist die Tasche in zwei Jahren noch nicht fertig“, macht Marc Finsterlin der Klasse 9f der Stadtteilschule Wilhelmsburg klar.
Es ist Ende November, draußen zeigt sich der Wilhelmsburger Himmel in mausgrau, doch von einem Nachmittagstief ist in der Klasse 9f nichts zu spüren. Gebannt lauschen 20 Jugendliche, alle um die 15 Jahre, dem ehemaligen Werber Finsterlin, der vor vier Jahren Hongkong den Rücken kehrte, sein Leben „auf links drehte“ und eine Firma gründete, die aus recyceltem Plastikmüll stylische Taschen produziert. Verwoben ist die Taschenproduktion mit Bildungsprojekten in Kambodscha.
Vor über einem Jahr haben die Schülerinnen und Schüler begonnen, ihre eigenen Longboards an ihrem Profiltag zu bauen. Longboards sind die coolere Variante der Skateboards. Diese sind seit Oktober einsatzbereit, und im Englischunterricht wurde darüber sinniert, durch welche angesagten Städte die Jugendlichen mit ihren Boards am liebsten rollen würden. Strittig war die Städtefrage, einig waren sich alle, dass für den Transport des Longboards im Flugzeug eine passende Tasche notwendig sei: Die Geburt einer neuen Projektidee. Englischlehrerin Gundi Wiemer stellte den Kontakt zu Freund und Taschenproduzent Finsterin her. Nun sollen mit seiner Expertise Taschen geplant und hergestellt werden. Taschenproduzent Marc Finsterlin erklärt die einzelnen betriebswirtschaftlichen Schritte.
Am Activboard zeichnet Marc Finsterlin Pfeile zwischen den Begriffen Zielgruppe, Anforderungskriterien, Zeitplan, Resourcenplanung. Dann wendet er sich den Schülerinnen und Schülern wieder zu. „Wie bekommt ihr raus, was so eine Longboardtasche alles können muss?“ Einige Finger gehen hoch. „Ich würde zur Skaterbahn gehen und eine Umfrage bei den Skatern machen.“ Finsterlin zieht die Mundwinkel nach oben und nickt. „Genauso hatten wir es auch mit unseren Taschen gemacht. Richtig.“
Warum Marc Finsterlin neben seinem Job sowie seinen Bildungsprojekten in Kambodscha noch in die Schule geht und einen Crashkurs in BWL für Nichtökonomen auf Augenhöhe gibt? „Mit jungen Menschen zu arbeiten eröffnet mir neue Perspektiven. Ich möchte wissen, was sie antreibt.“ In sechs Wochen wird er die Klasse wieder besuchen, um mit ihr die nächsten Meilensteine zu setzen.
Klassenlehrer Phillipp Fenske sieht neue Entwicklungsmöglichkeiten für seine Schülerinnen und Schüler: „Beim Bau des Longboards hatten wir Pädagogen viel vorgegeben. Planung, Materialauswahl und Vorgehensweise stammten von uns. Nun sind die Schülerinnen und Schüler am Prozess beteiligt und durchlaufen den gesamten Werdegang der Taschenproduktion von Zielgruppe über Funktion und Arbeitsaufteilung. Neu ist auch der Werkstoff, letztes Jahr Holz – nun textiler Stoff. Und wir waren alle überrascht, dass in der Klasse 7 Leute nähen können.“ Englischlehrerin Wiemer möchte das Projekt fächerübergreifend auf Englisch begleiten.
