Andere Länder-andere Sitten

Andere Länder-andere Sitten
Lea Goß berichtet wieder über ihre Erfahrungen in Namibia

Nach dem  erfolgreichen Abschluss ihres Abiturs arbeitet die gebürtige Neugrabenerin Lea Goß seit dem 1. September für ein Jahr an der Waldorfschule Windhoek als Lehrer-Assistentin.
Im folgendem berichtet die junge Frau über ihre Beobachtungen und  Erfahrungen  in Namibia. „Manchmal kommt es mir vor, als wäre es erst die zweite Woche, manchmal als wäre es das zweite Jahr.Das Gefühl des zweiten Jahres mag ich lieber, dann fühlt sich alles vertraut an, ich fühle mich akzeptiert und gebraucht von den Kindern, Lehrern und Mit-Freiwilligen“, sagt Goß. Aber natürlich stelle sich auch das andere Gefühl ein.

schulhof-2

 

Der Schulhof der Waldorfschule in Windhoek.

 

Ihre 3. Klasse, in der sie als Assistenzlehrerin an der Waldorfschule arbeitet, akzeptiere sie in solchen Momenten nicht als Vormund, sondern nur als Freundin. Schlimmer noch wären die Tage, an denen sie mit ihrer Vorgängerin verglichen werde, an der die Kinder natürlich sehr hängen würden. Doch diese Momente würden immer weniger – zum Glück. Sie habe fast immer das Gefühl, angekommen zu sein.
Es gebe mehr und mehr Situationen, in denen sie einfach im hier und jetzt sein könne und es genieße, in der Klasse zu sein, bei diesen, wenn auch nicht immer einfachen, tollen Kindern, erzählt Goß. „Solche Situationen sind zum Beispiel Momente, in denen ich eine Geschichte erzähle. Die Kinder sitzen dann um mich herum und starren mich mit riesigen Augen, konzentriert und still an, um bloß kein Wort zu verpassen. Oder auch um möglichst viel zu verstehen, denn mit der Sprache ist es hier ein bisschen schwierig.

klasssenraum

 

In diesem Klassenraum unterrichtet Lea Goß ihre Schüler.

 

Da es eine deutsche Schule ist, findet der Unterricht in der Primary – School ( bis 7. Klasse) ausschließlich auf Deutsch statt. Manche Kinder sind  jedoch mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen und andere kamen erst in der 3. Klasse dazu und sollen hier das erste Mal in ihrem Leben Deutsch sprechen und verstehen. Die Folge ist, dass es riesige Unterschiede gibt, was das Sprachlevel betrifft und somit oft auf Englisch übersetzt wird, da das fast alle Kinder fließend sprechen. Neben Englisch und Deutsch wird auch Afrikaans und Damaran unterrichtet, sodass es, wie man sich vorstellen kann, oft einen ziemlichen Sprachsalat gibt“, erläutert Goß.
Ihr Schultag beginnt um 6.06 Uhr mit dem Klingeln des Weckers und einem super Frühstück mit einer ihrer fünf Mit-Freiwilligen. Meist mit selbstgebackenem Brot, Porridge oder Pap, einer Art Maisbrei, der hier sehr viel gegessen wird. So richtig gehe es erst um 7 Uhr los, da sei der Lehrer-Morgenkreis mit allerlei organisatorischen Dingen befasst und anschließend ginge der Schüler-Morgenkreis mit vielen Waldorf-Liedern und Sprüchen über die Bühne. Gegen 7.20 Uhr gehe dann der Unterricht los – sollte er zumindest. Bis jedoch alle Kinder leise und bereit auf ihren Plätzen sitzen, vergingen oft nochmal zehn Minuten, weiß die Deutsche zu berichten.
„Was typisch ist für eine Waldorfschule, das ist der Bewegungsteil zu Beginn des Unterrichts. Es wird geklatscht, gerannt, gesprochen, gehüpft und gesungen für die erste halbe Stunde. Das ist bei den Kindern hier auch noch viel mehr nötig als in Deutschland. Viele haben morgens Energie für Zwei und sind total aufgedreht. Das kann an der – für mich total neuen – Erziehung in den Familien hier liegen, an dem Zucker, den sie hier kiloweise zu jedem Essen zu sich nehmen oder einfach an der Kultur. Danach wird epochenweise ein Thema behandelt. Das heißt, vier Wochen wird in den ersten zwei Stunden dasselbe Fach unterrichtet. Zur Zeit ist es Mathe. Hier ist es wie mit der Sprache. Eine konnte neulich tatsächlich nicht 28 + 1 rechnen, und ein anderer hat mich sprachlos gemacht, indem er schneller als die Lehrerin und ich 279 + 126 gerechnet hat.
Nachdem ich die 3. Klasse durch den Tag begleitet habe, ist mein Tag um 13 Uhr so gut wie zu Ende, nur einzelnen Kindern helfe ich noch im Hort mit Hausaufgaben, aber das ist dann sehr entspannt und angenehm, im Gegensatz zu dem sonst doch sehr lauten, anstrengenden und hektischen Tag“, schildert Goß.
Es gebe immer wieder Situationen über den Tag hinweg verteilt, die sie sprachlos machen und in denen man einfach nicht wisse, wie man als Freiwillige aus Deutschland reagieren soll. Zum Beispiel habe zuletzt ein Mädchen Streit mit einem Klassenkameraden über irgendein völlig irrelevantes Thema gehabt. Sie wollte den Streit schlichten, und das Mädchen habe angefangen zu weinen und sie gebeten, nichts ihrem Vater von dem Streit zu erzählen, da er sie sonst schlage. Wie reagiert man da? Was sagt man?
Und auch der Unterricht müsse pünktlich enden, da viele Eltern oder Fahrgemeinschaften nicht lange auf die Kinder warten wollen und einfach wegfahren, wenn es zu spät wird, sagt die 20-Jährige. Ein weiterer Aspekt wäre ihr schon nach zwei Monaten klar ins Auge gestochen: „Mir fällt immer wieder auf, wie behütet ich doch aufgewachsen bin. Wie geregelt mein Leben bis jetzt verlief und wie einfach ich es hatte, im Gegensatz zu vielen anderen Schülern, deren Geschichten ich hören durfte. Dann bin ich einerseits dankbar für diese behütete Kindheit, andererseits fühle ich mich fast schlecht. Nur weil ich zufällig in Deutschland geboren bin, in eine Familie hinein, die mir eine sorgenfreie Kindheit und Jugend verschaffen konnte, stehen mir so viele Wege offen, und ich habe so viele Möglichkeiten, meine Zukunft zu gestalten.
90 Prozent der Kinder hier an der Schule haben das nicht. Selbst wenn sie ihren Schulabschluss machen, werden sie nicht studieren können, da das nur in Südafrika wirklich möglich ist und dabei viel zu teuer. 90 Prozent der Kinder werden Büros putzend oder Regale einräumend ihr Arbeitsleben verbringen. Andererseits habe ich neulich folgenden Satz gelesen: „Die Weißen denken zu viel […] dann denken sie noch mehr und machen noch mehr Geld und haben nie genug. Dann sind sie nicht mehr
ruhig. So kommt es, dass sie nicht glücklich sind.“ (Bartholomäus Grill, Ach, Afrika, S.378).“
Sie  habe viel über diesen Satz nachgedacht und finde ihn eigentlich sehr passend. Sie habe sich ein bisschen ertappt gefühlt, räumt Goß ein.
Diese bedankt sich herzlich für die bisher erhaltenen Spenden für die Finanzierung ihres Aufenthaltes. Da sie noch nicht ganz den Spendenrichtsatz erreicht habe, würde sie sich freuen, wenn sich weitere Spender fänden.
Kontoinhaber: Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V.
Verwendungszweck: Förderfonds Freiwilligendienste Lea Goss
IBAN: DE23 6609 0800 0001 0142 50 Badische Beamtenbank

Assistenzlehrerin Lea Goß (r.) im Kreise ihrer Schüler aus der 3. Klasse. Fotos: ein