
Stress, Standort, Stadt: Straßenbäume haben keine Lobby.
Baumrundgang: Baumschätze und Klimabäume in Harburg.
Ende Juni hatte „Harburg21“ den interaktiven Rundgang „Bäume in der Harburger Innenstadt – Von Baumschätzen, Raritäten und Klimawandel“ durchgeführt. Die beiden Referenten vermittelten einer sehr interessierten Teilnehmenden-Gruppe Hintergrund-Wissen und praktische Einblicke in die nicht immer schöne und neue Welt der Stadtbäume.
Erste Station war er Harburger Rathausplatz. „Der Sommer 2018 war ein Katastrophenjahr: lange Trockenphase ohne Niederschläge und ein Hitzerekord über 40 Grad. Besonders junge Bäume leiden dabei, weil ihre Wurzeln nicht tief genug reichen“, erklärt Christian Kadgien von der bezirklichen Stadt- und Landschaftsplanung. „Insgesamt haben wir es mit der Klimaveränderung vermehrt mit neuen Baum-Krankheiten, Schädlingen und Bakterien zu tun, die zu Bestandsverlusten führen und verstärkt kostenintensive Baumpflege-Maßnahmen erfordern.“
Den Anfang der Baumschau macht eines von bislang 70 bekannten stadtklimaresistenten Gehölzen: die weit aus- und flachwurzelnde, schnellwüchsige Kaukasische Flügelnuss.
„Die drei häufigsten Straßenbaumarten in Hamburg sind die Linde mit einem Anteil von 24 %, gefolgt von der Eiche (22 %) und dem Ahorn (13,5 %).“
Die majestätische Blutbuche am Springbrunnen wird Thema. „Sie ist mit ihren 125 Jahren älter als das Harburger Rathaus“, werden die Teilnehmer aufgeklärt. Ein Baum dieser Größenordnung hat über 60.000 Blätter, mit denen er an einem Sonnentag 18 kg CO2 verarbeitet und dabei Feinstaub, Bakterien und andere Schadstoffe aus der Luft gleich mit herausfiltert. Die Buche kommt auf 400 Liter Input (Verbrauch) und Output (Verdunstung) und produziert zudem 13 kg Sauerstoff, den Bedarf von ca. 10 Personen. Wer hätte das gedacht!
Der nächste Klimabaum steht auf der gegenüberliegenden Seite des Rathausplatzes. Jürgen Becker, Geologe und Klimaforschungs-Manager, lenkt die Aufmerksamkeit zunächst auf die 40 Jahre alte Baumreihe in der Harburger Rathauspassage am Archäologischen Museum. Diese ahornblättrigen Platanen – robust, anspruchslos, frosthart und wärmeliebend, wie diese ursprünglich südosteuropäische/türkische Spezies ist – zählen zu den Klimabäumen. Aber diese Exemplare hier werden ständig beschnitten. „Sie dürfen nicht höher als das Gebäude werden. Andernfalls reißt der Sturm sie um. Denn durch die Tiefgarage unter ihnen haben sie zu wenig Wurzelraum zur Verfügung“, erklärt Kadgien.
„Und so sehen wir, wie eng der urbane Lebensraum nicht nur für Mensch und Tier, sondern auch für Bäume werden kann. Ein klarer Fall von Flächenkonkurrenz!“, so Chris Baudy, Vertreter von Harburg21.
Zweite Station: Am Centrumshaus mit der Platanenallee. „Zu beiden Seiten neben den Baumtellern dürfte es eigentlich keine Parkplätze geben. Denn oft müssen die Leute, wenn sie aus ihren Autos steigen, auf den Baumteller treten. Das Ergebnis: wasserdicht festgetrampelte Erde“, erläutern die Fachleute.
Becker stellt fest: „Straßenbäume haben einfach keine Lobby. Sonst würden bei städtebaulichen Investitionen Begrünungsmaßnahmen nicht immer das Schlusslicht bilden. Da haben wir es wieder, das leidige Sparen am falschen Ende, wenn wir bedenken, was Bäume alles für uns leisten.“
Dritte Station ist der Harburger Ring (S-Bahnstation Harburger Rathaus). „Die Bäume sind einfach kollabiert“, versucht Kadgien sich im Feierabendverkehr Gehör zu verschaffen. Eine Nachpflanzung sei hier nicht sinnvoll, sagt er und stellt fest: „Ein Wunder, dass die Sumpfeichen hier an der Bushaltestelle noch stehen und offenbar irgendwoher – bei all den Schächten und Tunneln hier – noch Wasser beziehen können.“
Vierte Station ist schließlich die Hölertwiete.
Die angesetzten 90 Minuten für den Rundgang sind längst überschritten, aber eine wichtige Station soll nicht fehlen. Die Anwesenden bleiben bei einem der fünf in einer Reihe angelegten Baumstandorte mit großen, gittergeschützten Baumtellern stehen. Dort hat der Bezirk Gleditschien beziehungsweise Lederhülsenbäume – ebenfalls eine weitgehend klimatolerante, nordamerikanische Baumsorte – gepflanzt. Doch es steckt noch mehr dahinter, genauer darunter.
Hier wird Regenwasser von 200 m² Dachfläche in einen unterirdischen Speicher (Rigole) geleitet, der bei Starkregen auch Wasser aus der Kanalisation aufnehmen kann. Zudem sorgt ein besonderes Bodensubstrat (Erd-/Gesteins-Granulat) für optimale Belüftung und Bewässerung der Wurzeln bis auf 2,60 m Tiefe. Alles Teil eines Anpassungsversuchs an die klimatischen Veränderungen in der Stadt. Und der geweißte Stamm der Bäume? „Das ist Kalk, der wirkt als Frost-, Hitze-, Riss- und Krankheitsschutz“, so Kadgien.
Chris Baudy hält fest: „Das Leben auf der Straße ist hart – auch für Bäume. Flächen-Konkurrenz, eingeschränkter und gefährdeter Wurzel- und Lebensraum, Streusalz, Rinden-Verletzungen durch Unachtsamkeit und obendrauf Belastungen durch Erderwärmung plus Extremwetterereignisse. Statt beengender Grauzonen brauchen wir eine grüne Stadt und viel mehr Gelder für ihre Gestaltung und Pflege. Als Klima-Anpassungs-Maßnahmen liegen derzeit Klimabäume und Projekte wie das in der Hölertwiete im Trend. In ein paar Jahren wissen wir hoffentlich mehr.“