1945. Der erste Sommer im Frieden

Archiv Möller -.

1945. Der erste Sommer im Frieden.

Historisches spielte sich in Tötensen, Ehestorf und Vahrendorf ab.

Mai 1945: Der Tommy kommt, heißt es allenthalben. Der Zweite Weltkrieg ist vorüber, die Waffen schweigen nach sechs Jahren. Dennoch ist die Unsicherheit sehr groß und der Frieden wirkt zerbrechlich. Millionen Menschen sind in dieser Zeit in Deutschland unterwegs: Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, Heimkehrer, ehemalige Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus verschiedenen Ländern Europas, z.B. Polen, Sowjetunion, Italien.
Am 25. und 26. April 1945 fanden die letzten Kampfhandlungen im Landkreis Harburg auf dem Kiekeberg, unmittelbar vor den Toren Hamburgs – und Harburgs – statt. Vahrendorf war bereits in britischer Hand, in Ehestorf waren noch deutsche Soldaten.
Am Sonntag, dem 29. April 1945 begaben sich drei Parlamentarier mit der Erlaubnis des Hamburger Kampfkommandanten, General Alwin Wolz, an die Frontlinie, die zwischen Vahrendorf und Ehestorf verlief. Sie erwirkten, dass der Beschuss der Phoenix-Werke in Harburg eingestellt wurde. Dort befand sich ein Lazarett, in dem auch drei englische Kriegsgefangene lagen.
Die drei Parlamentarier Hermann Burchard (Divisionsarzt aus Harburg), Albert Schäfer (Chef der Phoenix-Werke), Leutnant Otto von Laun (Dolmetscher und Sohn des Völkerrechtlers Rudolf von Laun) gingen etwa zwei Kilometer entlang der heutigen B75 auf Höhe von Lürade durch Niemandsland auf die englische Front zu. Ein nicht ungefährliches Unterfangen, denn geschossen wurde noch immer. Sie wurden in den Befehlsstand der 5th Queen’s Company nach Tötensen gebracht. Von dort ging es mit verbundenen Augen in den Landgasthof „Hoheluft“ in Buchholz-Meilsen. In der Gaststätte wird noch heute an dieses historische Ereignis erinnert.
Die Verhandlungen um die Einstellung des Beschusses der Phoenix-Werke ebneten den Weg für die geheimen Gespräche zwischen Hamburger Vertretern und britischem Militär in den nächsten Tagen. Am 2. Mai traf General Alwin Wolz in Begleitung von Major Peter Andrae und Hauptmann Dr. Gerhard Link im Hauptquartier der 131. Infanteriebrigade in Klecken ein. Mit Brigadegeneral John Michael Spurling konnte er nur über ein einziges Thema verhandeln: Hamburgs bedingungslose Kapitulation. Davon erfuhr auch Hitlers Nachfolger, Großadmiral Karl Dönitz. Obwohl er nicht in die Verhandlungen eingebunden war, stimmte er Schließlich der kampflosen Übergabe Hamburgs, nachdem er sich anfänglich noch gesträubt hatte, zu. Denn inzwischen hatten die Briten Lübeck und die US-Amerikaner Wismar eingenommen.
Noch am Abend des 2. Mai bereitete Alwin Wolz mit den Briten die Kapitulation vor – an der Frontlinie unweit von Meckelfeld. Es gelingt Wolz sogar, Waffen-SS-Einheiten von dieser Frontlinie abzuziehen, um mögliche „Feindberührung“ zu vermeiden. Und verhängt eine Ausgangssperre für Hamburg, damit die Briten in Hamburg einmarschieren können. Für die Briten nicht ganz ungefährlich, denn die Elbbrücken waren für die Sprengung bereits vorbereitet.
Am nächsten Morgen fuhr Wolz ins Hauptquartier der Zweiten Britischen Armee nach Häcklingen bei Lüneburg. Dort unterschrieb er die Kapitulationsurkunde. Unterdessen verbreitete der Rundfunk seit den frühen Morgenstunden die Nachricht, dass die Briten am Nachmittag in Hamburg einmarschieren werden. Zwischen 13 und 19 Uhr herrschte tatsächlich Ausgangssperre. Am 3. Mai rollten die britischen Truppen in drei großen Marschsäulen aus Richtung Buxtehude, Tötensen und Hittfeld ab 16 Uhr auf die Hamburger Innenstadt zu. Um 18.25 Uhr übergab Alwin Wolz vor dem Rathaus die Stadt Hamburg an den britischen Brigadegeneral John Michael Spurling.
Die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, die zum Ende der militärischen Feindseligkeiten der Alliierten gegen das nationalsozialistische Deutsche Reich führte, wurde nach erfolglosen Verhandlungsversuchen der deutschen Seite am 6. Mai in der Nacht zum 7. Mai 1945 im Obersten Hauptquartier der Alliierten Expeditionsstreitkräfte in Reims unterzeichnet. Sie trat am 8. Mai um 23.01 Uhr in Kraft. Die Kapitulationserklärung wurde aus protokollarischen Gründen in Berlin am 8./9. Mai* wiederholt. Die vier Siegermächte übernahmen mit der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 die oberste Regierungsgewalt in Deutschland. Die Kapitulationsurkunde ist auf den 8. Mai 1945 ausgestellt. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel unterzeichnete die Urkunde jedoch erst in den ersten Morgenstunden des 9. Mai.
Im Sommer 1945 zogen sehr viele Menschen durch Europa. Für den Landkreis Harburg waren vor allem drei große Verteilungszentren für Flüchtlinge bedeutend: Hamburg, Schwerin und Lüneburg. Von dort gelangten die Flüchtlinge in Zügen in kleinere Zentren, wie Winsen. Dort angekommen, verteilte man die Flüchtlinge auf die verschiedenen Dörfer. Sie mussten die letzten 25 Kilometer nach Vahrendorf zu Fuß mit einem Handkarren oder mit Pferdefuhrwerken bewältigen. Frei bewegen durften die Menschen sich in dieser Zeit nicht. Wollte man von Dorf zu Dorf gehen, brauchte man Passierscheine. Ein Auto hatten allenfalls Landärzte, selbst mit dem Fahrrad zu fahren, bedurfte einer Genehmigung. Auf dem Land war die Lebensmittelversorgung zwar besser als in der Stadt, dies betraf jedoch eher die Einheimischen. Die Flüchtlinge waren auf Hilfe angewiesen.
Infolge der Lebensmittelknappheit in den Städten entstand ein reger Schwarzmarkt. So kauften zum Beispiel ehemalige italienische Zwangsarbeiter Schlachtvieh auf dem Land für etwas überhöhte Preise, um sie dann in Hamburg und Geesthacht zu Wucherpreisen zu verkaufen. Die Briten hatten besonders in der unmittelbaren Nachkriegszeit wenig Interesse, Recht und Gesetz für die Deutschen durchzusetzen. Es gab zwar eine Art Polizei, diese war jedoch unbewaffnet und mit einem sehr eingeschränkten Handlungsspielraum ausgestattet. So wurden Diebstähle, Plünderungen und sogar Mord nur selten geahndet. Die Fernkommunikation war ebenfalls stark eingeschränkt. Nachrichten drangen nur nach und nach durch, was oftmals zur raschen Verbreitung von Gerüchten beitrug. So hieß es zum Beispiel am 25. Juni 1945 im Kreis Winsen, die Engländer hätten Wehrmachtsverbände reaktiviert, um gemeinsam mit den Deutschen gegen die anrückenden Russen vorzugehen.