Harburg muss wie eine eigenständige Stadt agieren

pm - Andreas Breitner: Er versteht sich als Cheflobbyist des Geschosswohnungsbaus.

Harburg muss wie eine eigenständige Stadt agieren

CDU diskutiert mit Fachleuten im Stellwerk

„Harburg muss agieren, als wäre es eine eigenständige Stadt.“ Diese Erwartung an den Bezirk formulierte der Stadtplaner und Stadtforscher Julian Petrin (nexthamburg.urbanista) am Dienstag bei einer Veranstaltung der Hamburger CDU im „Stellwerk“ im Harburger Bahnhof. Sie stand unter dem Motto „Hamburg: Zurück in die Zukunft – Wohnen.Leben.Fahren. Hamburg anders denken.“ Als Gesprächsteilnehmer und Fachleute hatte der Neugrabener André Trepoll, CDU-Fraktionsvorsitzender in der Bürgerschaft, außer Petrin noch Michael Westhagemann, ehemaliger Vorsitzender des Industrieverbandes Hamburg sowie Andreas Breitner, Vorstand und Verbandsdirektor im Verband Norddeutscher Wohnungswirtschaft und vormals Minister im Kabinet von Torsten Albig, Ex-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, eingeladen.
„Was macht eine moderne Großstadt aus?“, fragte Trepoll eingangs, um dann festzustellen dass Rot-Grün in Hamburg nüchtern regiere, ohne über den Tellerrand zu gucken. Zwar befinde sich Hamburg unter den Top 10 der grünen Städte in Deutschland, doch sei das mitnichten ein Verdienst der Hamburger Regierung, sondern eine Konsequenz aus der geographischen Lage der Stadt mit Elbufern und viel Grün, ganz besonders in Harburg und in Bergedorf. Petrin ging in seiner Forderung noch weiter: Harburg müsse sich (endlich) auf seine Qualitäten als Stadt in der Stadt besinnen, schließlich sei es mit seinen 150.000 Einwohnern so groß wie Offenbach. Natürlich sei ihm noch aus seiner Zeit als Student an der TUHH das Sorgenkind Harburger Innenstadt bekannt, doch verfüge Harburg über das Potenzial, etwas aus sich zu machen. Dazu gehöre unter anderem, dass langfristig kein Weg an einer Anbindung durch die U4 vorbei führe. Petrin: „Harburg kann nicht auf Dauer an einem einzigen S-Bahn-Schienenstrang hängen.“ Den Grund lieferte der Stadtplaner gleich mit: Städte hätten heute „Staubsaugerfunktion“ und würden sich „tokiomäßig“ entwickeln. Um das zu vermeiden, müsse Stadt neu gedacht werden. Das erfordere auch Mut, zum Beispiel auch Mut, die Bürger mitzunehmen. Auf die Nachfrage von Trepoll, weshalb denn beispielsweise die Seilbahn über die Elbe gescheitert sei und ob dergleichen Projekte heute überhaupt noch realisierbar seien, meinte Petrin, dass das Seilbahn-Projekt äußerst schlecht vorbereitet gewesen sei, und deshalb den Bürgerentscheid nicht habe überstehen können. Dieser Vertrauensverlust müsse in Hamburg nun wieder wettgemacht werden. Trotzdem seien in absehbarer Zeit keine Einbrüche für Städte zu erwarten. Allerdings würden die Menschen erwarten, dass ihnen der öffentliche Raum zurückgegeben werde – zum Beispiel durch weniger PKW-Verkehr. Dazu gehöre aber auch, die Überlegung, ob die ÖPNV-Gebühren nicht zurückgenommen werden könnten.
Westhagemann seinerseits erhob die Forderung, dass Strom aus Windkraft bis 2020 einen Anteil von 75 Prozent haben müsse. Deutschland betreibe noch zu viele Kohlekraftwerke – eine Folge des Ausstiegs aus der Atomenergie. Auch ihn beschäftigt die Entwicklung des ÖPNV – eine Frage, die übergreifend diskutiert weden müsse, denn seine Erkenntnis sei: „Du stehst irgendwo bestimmt im Stau.“ Deshalb sei er ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Seine größte Sorge allerdings formulierte er knapp in vier Worten: „Wir handeln zu spät.“ Beispiel: Die Sanierung/der Ausbau der A7 hätte schon längst in Angriff genommen weden müssen.
In Sachen Verkehr ging Breitner noch einen Schritt weiter und brach eine Lanze für das autonome Fahren. Außerdem müsse es auch, notfalls staatlich finanziell gefördert, möglich sein, in Zukunft Einzelpersonen dazu zu bewegen, ihren viel zu großen Wohnraum gegen eine kleinere Fläche einzutauschen. Das auch vor dem Hintergrund, dass der Erwerb von Wohneigentum für Familien in Städten wegen der enorm gestiegenen Baukosten kaum noch möglich sei. Breitner: „Das bereitet große Probleme. Es muss möglich sein, in Großstädten Eigentum zu erweben.“ Wenn dann irgendwann die Zinsen wieder steigen, werde die Wohnungsbaukonjunktur einbrechen, befürchtet Breitner. Bereits jetzt sei abzusehen, dass am Grasbrook wegen der hohen Erschließungskosten kein günstiger Wohnraum entstehen werde. Erschwerend komme dazu, dass Hamburg als einzige Stadt in Deutschland nicht über ein gesamtes Stadtentwicklungskonzept verfüge. Das führe beispielsweise dazu, dass Neugraben die Anzahl seiner Bürger verdoppele, aber kaum jemand die Probleme der ärztlichen Versorgung auf dem Schirm habe. Breitner: „Das sind Planungsfehler, die Infrastruktur muss mitgedacht werden.“ Konsequente politische Entscheidungen seien deshalb, bei aller breit angelegten demokratischen Beteiligung, gefordert.
Nach ihren Statements im Gespräch mit André Trepoll stellten sich die Referenten der Fragen der etwa 50 Bürger. Dabei kam auch die Frage zur Sprache, weshalb Harburg, anders als andere Städte, nicht über einen Autobahnring verfüge. Das sei dem Umstand geschuldet, dass Hamburg als Stadtstaat nicht über Flächen verfüge, um in der Metropolregion Verkehrsmaßnahmen zu ergreifen, anders als beispielsweise in München oder Stuttgart, wo die S-Bahn bis nach Starnberg und Erding bzw. Ludwigsburg oder gar Esslingen fahre.
Auch den Bau einer Schwimmhalle brachte Juliane Eisele ins Gespräch. Sie hatte die TUHH als Co-Träger ins Gespräch gebracht. Natürlich müsse nicht alles und immer von staatlichen Einrichtungen getragen werden, doch warnte Westhagemann davor, die TUHH diesbezüglich finanziell zu fordern. Das übersteige ihre Möglichkeiten, wusste er. Tatsache aber sei: „Wenn eine Stadt mit 150.000 Bürgern über kein eigenes Schwimmbad verfügt, ist das keine gute Entwicklung.“ Deshalb müsse Juliane Eisele am Ball bleiben. Staunässe in Neuland und Sinstorf waren weitere Themen, die die Bürger an diesem stringenten Abend, an den der Vorhang nach 90 Minuten fiel, bewegten, ebenso wie die Frage der Inklusion. Schließlich sprach Helga Stöver, CDU-Abgeordnete in der Bezirksversammlung, das Thema der Trennung von Binnenhafen und City durch die Bahnlinie an. Dass die angedachte Trog-Lösung ins Reich der Illusionen verbannt werden müsse, darüber waren sich alle einig, genauso wie man sich darüber einig war, dass „nur eine Landschaftsbrücke zu wenig ist.“ Ein „stärkerer Brückenschlag sei vonnöten“, hieß es. Ein schwieriges Problem. räumte Trepoll ein. In dieses Kapitel gehöre auch der Bau einer neuen Raststätte an der A7, über deren Standort sich Hamburg und Niedersachsen nicht einigen können.