100 Jahre Straßenbau-Geschichte kommt zum Vorschein

Bis zum Spätsommer sollen die Arbeiten für den Rückbau der Wilhelmsburger Reichsstraße abgeschlossen sein. Die Brücke über den Ernst-August-Kanal steht bereits nicht mehr. Foto: au

100 Jahre Straßenbau-Geschichte kommt zum Vorschein.

Rückbau der Wilhelmsburger Reichsstraße schreitet voran.

Mühelos knackt der sonnenblumengelbe Bagger mit seiner riesigen Zange den Beton in kleine Stücke, überall gucken Stahlmatten heraus: Jahrzehntelang hat die sogenannte Stahlbewehrung der Brücke der ehemaligen Wilhelmsburger Reichsstraße, die über den Ernst-August-Kanal führte, seine Standhaftigkeit verliehen. Nun heißt es Abschied nehmen von dem Bauwerk. Der Rückbau der alten Trasse der Wilhelmsburger Reichsstraße – ein knapp vier Kilometer langer Damm – schreitet voran. „Wir haben bereits 75 Prozent der Straße entsiegelt“, verrät Jakub Oblocki, Projektmanager bei der IBA Hamburg und für den Rückbau zuständig. Die Zahlen dazu sind beeindruckend: 315.000 Kubikmeter bewegter Sand, 35.000 Quadratmeter entsiegelte Straße, 28.000 Tonnen Asphalt. „Vom Asphalt ist allerdings die Hälfte teerbelastet. Mit Teer wurden früher Straßen gebaut“, weiß Oblocki. Mittlerweile ist Teer beim Straßenbau verboten, der belastete Schutt wird dementsprechend entsorgt.
Aber es wurden beim Rückbau auch interessante Dinge entdeckt. So kommt jetzt die sogenannte ‚Packlage‘ zum Vorschein. „Hier sieht man 100 Jahre Geschichte des Straßenbaus“, zeigt sich Oblocki begeistert. Die Packlage bildete im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die unterste Befestigungsschicht im Straßenaufbau und wurde vom französischen Straßenbauingenieur Pierre Marie Jérôme Trésaguet im Jahre 1764 erfunden. Sie bestand aus relativ großen Steinen oder Steinstücken, die aus größeren Steinen herausgeschlagen wurden. Einige der Natursteine, die für die Packlage der Wilhelmsburger Reichsstraße verwendet wurden, sollen in Zukunft sichtbar sein. Es ist geplant, diese in den neuen Quartieren zu verbauen.
Am 4. Oktober 2019 wurde die Wilhelmsburger Reichstraße für immer stillgelegt. Der Verkehr verläuft seitdem über die neue Bundesstraße B75 parallel zur Bahntrasse im Osten Wilhelmsburgs. Kurz nach der Verlegung startete der Rückbau. Durch den Rückbau entstehen dringend benötigte Flächen für moderne Quartiere mit bezahlbaren Wohnungen für alle Bevölkerungsgruppen sowie zusätzlichen Bildungs-, Sport- und Freizeitangebote. Insgesamt werden in den vier neuen Quartieren – Inselparkquartier, Wilhelmsburger Rathausviertel, Elbinselquartier und Spreehafenviertel – in den nächsten Jahren rund 5.400 Wohnungen entstehen. In unterschiedlich großen Baufeldern sollen vielfältige Strukturen von modernen Mehrfamilienhäusern bis hin zu Town Houses oder Vorhaben für Baugemeinschaften realisiert werden.
Zuerst wurde der südliche Bereich zurückgebaut. Dadurch wurde zunächst die Trennung des Wilhelmsburger Inselparks aufgehoben. Hier kann man nun – ohne eine Brücke nutzen zu müssen – von einem in den anderen Teil des Inselparks gehen. Nachdem nun auch im nördlichen Bereich große Teile der Straße entsiegelt wurden, stehen jetzt die Brücken auf dem Abrissplan. Die Brücke über den Ernst-August-Kanal ist so gut wie abgerissen, vor gut zwei Wochen startete der Abriss der Brücke über die Rotenhäuser Straße. „Die Brücke über die Mengestraße wird als letzte abgerissen werden“, erlärt Jakub Oblocki. Gut zu wissen: Die Unterführung des parallel zur Mengestraße verlaufenden Fußwegs in unmittelbarer Nähe zur alten Brücke, die durch ihr Himmelbild die Nutzerinnen und Nutzer immer wieder begeistert, wird bleiben. „Die wird in das Quartier integriert“, erzählt Lisa Buttenberg, IBA-Projektentwicklerung Quartiersentwicklung. Bis zum Spätsommer soll der Rückbau abgeschlossen sein. Mit den vorbereitenden Maßnahmen in den Quartieren soll, Stand jetzt, Anfang 2023 begonnen werden.