Zeitzeuge Gasolin-Tankstelle

pm -Museumsdirektor Stefan Zimmermann: „Wir stellen dar wie Einheimische aber auch Neubürger die Aufbauzeit erlebten.Ò

Zeitzeuge Gasolin-Tankstelle.

Projekt „Königsber Straße“ hat bundesweite Bedeutung.

Die Juno-Zigaretten liegen auf dem Tisch, obwohl das Schild „Rauchen und offenes Feuer“ nicht zu übersehen ist. Daneben Quittungsblöcke und ein Stift, einen Bezahltresen, wie wir ihn heute kennen, gab es damals noch nicht, und die Berum-Zündkerzen, zu denen der Tankwart (damals noch ein Ausbildungsberuf) nicht selten greifen musste, liegen in einem Regal. Draußen prangt, nicht zu übersehen, die Gasolin-Werbung in Rot, Weiß und Schwarz. Daran und an manches mehr konnten sich am Sonntag die Gäste des Freilichtmuseums am Kiekeberg erinnern. Es hatte zur Eröffnung der Gasolin-Tankstelle eingeladen, die Teil des Projektes „Königsberger Straße“ ist. Der Festakt fand unter dem Vordach des Agrariums statt, wo die Gastgeber und Gäste originellerweise die Ladeplattform eines Wirtschaftswunder-Lkw erklimmen mussten, um ihre Grußworte zu sprechen. Sie verknüpften sie zumeist mit sehr persönlichen Erinnerungen an die 1950er-Jahre, als die ersten Goggomobile und Motorroller über die Straßen des Nachkriegsdeutschland zu rollen begannen. Kein Fahrzeug ohne Tankstelle, und nach und nach schossen die Gasolin-Tankstellen wie Pilze aus dem Boden. Eine davon war – in ihrer heutigen Form – 1954 in Stade gebaut worden und hat die Jahrzehnte überlebt. Im vergangenen Jahr hat sie das Freilichtmuseum auf sein Gelände translozieren lassen, als Teil eben dieser Königsberger Straße (zu der u.a. auch ein Quelle-Fertighaus gehört), ein Projekt, das die Jahre der jungen Bundesrepublik von 1949-1979 illustrieren soll, eine Zeit, in deren Anfänge der Landkreis tausende Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten aufgenommen hat, Menschen, die maßgeblich zum Wirtschaftswunder beigetragen haben. Dessen Ausdruck war u.a. die Mobilität. Man konnte endlich weiter als nur in die Lüneburger Heide fahren, und bald erkoren die Deutschen das Land jenseits des Brenners (Italien) zum Land ihrer Sehnsüchte, wohin sie ein Goggomobil oder ein Fiat Topolino (Mäuschen) mit gerade mal 13 PS brachte, und heil wieder zurück.
Klaus-Wilfried Kienert, Stiftungsratvorsitzender der Stiftung Freilichtmuseum am Kiekeberg, war es vorbehalten, die Gäste willkommen zu heißen, während die Sonntagsglocken der benachbarten Vahrendorfer Kirche wie zur Begrüßung eifrig läuteten. Der Museumsdirektor Stefan Zimmermann führt heute fort, was sein Vorgänger im Amt (und an diesem Tag anwesend) Rolf Wiese vor Jahren angeschoben hat. Er schlug den Bogen vom Beginn der Automobilindustrie und den Tankstellen mit ihren markanten Flugdächern bis in die 70er-Jahre, als sich das Selbstbedienungskonzept in den Tankstellen durchzusetzen begann und Gasolin in der noch heute gängigen Marke ARAL aufging. Doch das ist nicht das Ende der Geschichte, denn Gasolin und die dazugehörige Tankstelle leben am Kiekeberg weiter. Um diese Zeit musikalisch zu illustrieren, hatte das Museum Lillemor Spitzer (Gesang) und Matthias Grabi (Klavier) eingeladen, diese Jahre mit bekannten Schlagern wie „Komm ein bisschen mit nach Italien“ (Peter Alexander und Caterina Valente) oder „Caprifischer“ wieder lebendig werden zu lassen.
„Hier geht es nicht um irgendeine Ausstellung, sondern um ein Stück Heimat“, stellte Michael Grosse-Brömer (CDU), fest, der den Landkreis als Abgeordneter im Bundestag vertritt. Auch er konnte sich noch gut daran erinnern, dass Mutter als Beifahrerin stets den Shell-Atlass auf den Knien hatte, damit der Fahrer bloß keine Abfahrt übersah oder sich im Autobahnkreuz verfuhr.
Zuvor hatten Klaus und Horst Mehrten, frühere Inhaber der Tankstelle, über ihre Kindheitserinnerungen berichtet, eine Zeit, die auch in dem an diesem Tag mehrfach erwähnte Film „Die drei von der Tankstelle“ mit Heiz Rühmann in der Hauptrolle, mehr als lebendig wird. Reiner Rempe, Landrat des Landkreises Harburg, stellte seinerseits fest: „Die ‚Königsberger Straße’ und zuvorderst die heute erneute ‚Inbetriebnahme“ der Tankstelle sind bereits heute eine Erfolgsgeschichte, weil hier Geschichte sichtbar gemacht und fortgeschrieben wird.“ Stefan Zimmermann: „Insbesondere auf den Dörfern wurde ein Prozess der kulturellen und wirtschaftlichen Modernisierung angestoßen. Neubürger brachten neues Fachwissen und einen starken Aufbauwillen mit, sie bereicherten mit anderen Traditionen und Gewohnheiten das bestehende Dorfleben. Das alles soll nun die „Königsberger Straße“ illustrieren, und die „Gasolin-Tankstelle“ ist ein erster Schritt.