„Alle Wohnungsformen haben ihre Berechtigung, aber nicht an jedem Ort“

mk -Werden zukünftig mehrgeschossige Wohnungsbauten die Neubaugebiete dominieren?

„Alle Wohnungsformen haben ihre Berechtigung, aber nicht an jedem Ort“.

Kontroverse Diskussion um die Zukunft des Eigenheimes.

Der Bezirksamtsleiter von Hamburg-Nord, Michael Werner-Boelz, hat es bundesweit in alle Medien geschafft. Grund ist seine Ankündigung, in seinem Bezirk bei neuen Bebauungsplänen keine neuen freistehenden Einfamilienhäuser mehr zu genehmigen. Laut Werner-Boelz würden Einfamilienhäuser zu viel Fläche kosten und verschwendeten zu viel Energie. Die Zukunft sieht der Grüne im Bau von Mehrfamilienhäusern, die gerne auch über mehrere Stockwerke verfügen dürften.
Andere Grüne zeigten sich von der Absage an Einfamilenhäusern angetan. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, pflichtete Werner-Boelz beispielsweise in einem „Spiegel“-Interview bei. Daneben bekundeten ebenfalls die Partei Die Linke und die SPD Symphatie für die Einschränkung von Einfamilienhäusern. Auch der Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), Andreas Breitner, sieht Eigenheime kritisch: „Wir unterstützen die Haltung des Bezirks Hamburg-Nord, Anträge zum Bau von Einfamilienhäusern nicht mehr zu genehmigen. In verdichteten Räumen mit hoher Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum sind neue Einfamilienhäuser kein Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Hinzu kommt die ökologische Seite: wenig Menschen auf viel Raum ist nicht effizient, verbraucht unnötige Ressourcen und versiegelt viel Fläche für wenig Nutzen.“
Es dauerte nicht lange, bis eine hitzige Debatte einsetzte – gerade im Superwahljahr 2021. Hamburgs CDU-Landeschef Christoph Ploß begründete sein Nein zu einer Koalition der Union mit den Grünen im Bund auch mit deren Nein zu Einfamilien-Neubauten. Vor diesem Hintergrund befragte der Neue RUF die örtliche Politik in Süderelbe zu diesem Thema. Immerhin gibt es in der Süderelbe-Region drei große Neubaugebiete (Vogelkamp Neugraben, Fischbeker Heidbrook, Fischbeker Reethen). Hinzu kommen mehrere kleinere Flächen, für die Bebauungspläne aufgelegt werden. CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer lehnt eine Reduzierung oder sogar den Wegfall von Einfamilienhäusern ab. Die CDU habe bei den Neubaugebieten Vogelkamp Neugraben, Fischbeker Heidbrook und Fischber Reethen stets darauf geachtet, dass Einfamilienhäuser in ausreichender Anzahl realisiert werden. Nur mehrstöckige Geschossbauten als Ersatz anzubieten käme nach Fischer „einer Verschandelung des Ortsbildes“ gleich. Dabei denke er unter anderem an die Elbdörfer Neuenfelde, Cranz und Francop, wo dies besonders ins Gewicht fallen würde. „Das Ganze ist viel zu kurz gedacht. Das geht gar nicht“, erteilt Fischer der möglichen Verbannung von Einfamilienhäusern eine Absage.
Auch der Geschäftsführer der SPD-Fraktion Harburg und Co-Distriktsvorsitzende des SPD-Distriktes Neugraben-Fischbek, Henning Reh, sieht nicht das Ende von Einfamilienhäusern gekommen. „Alle Wohnungsformen haben ihre Berechtigung, aber nicht an jedem Ort“, schränkt Reh zwar ein. Er gibt aber zu bedenken: Es bestehe eine hohe Nachfrage nach Einfamilienhäusern in der Süderelbe-Region, wo es im Vergleich zum Stadtkern Hamburgs auch noch genügend Platz gebe. Gerade in der SPD-Wählerschaft wäre es laut Reh ein wichtiger Faktor des sozialen Aufstiegs, wenn man ein Eigenheim verwirkliche. Eines macht Reh aber auch deutlich: Der Neubau von Eigenheimen dürfe nur unter der Maßgabe einer ökologisch wertvollen Fertigung umgesetzt werden.
Die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Dr. Gudrun Schittek weiß ebenfalls um die Brisanz des Themas. „Der Wunsch nach einem Eigenheim ist für viele Menschen, insbesondere Familien, verständlich und legitim. Eigentum zu erwerben, bedeutet auch Altersvorsorge. Hamburg ist eine grüne Stadt und wir haben eine große Zahl an Eigenheimen. Im Bestand ein Haus zu erwerben, ist in Süderelbe für viele Familien möglich. In den neuen Baugebieten Vogelkamp und Fischbeker Heidbrook werden Eigenheime gebaut“, erklärt Schittek. Auf der anderen Seite stehe der große Bedarf an bezahlbarem Wohnraum. Es gebe viele Bürger, die sich einen Kauf nicht leisten könnten. Gerade hier sei Hamburg in der Verantwortung. Die Grüne weist überdies auch auf den ökologischen Aspekt hin: „Außerdem sollen nicht immer mehr Flächen versiegelt werden und Grün muss erhalten bleiben. Es geht nicht um Verbote, sondern darum, für Bürgerinnen und Bürger in Süderelbe die besten Wohn- und Lebensbedingungen zu schaffen. Auch in den Fischbeker Reethen sind, neben Geschossbauten, Eigenheime geplant, daran sollte nichts geändert werden.“ Die Entscheidung über Bebauungspläne, so Schittek, liege beim Bezirk. Dort müsse abgewogen werden.
Die AfD verwahrt sich gegen die Reduzierung von Eigenheim-Neubauten. „Wir lehnen ein Verbot für den Bau von Eigenheimen ab. Im Wohnungsbauprogramm für 2020 des Bezirks Hamburg-Nord hat man festgestellt, dass Ein- und Zweifamilienhäuser bei den Familien besonders beliebt sind. Die Vereinbarung zwischen Grünen und SPD im Bezirk Hamburg-Nord ist deshalb ein gewaltiger Fehler. Das darf in Süderelbe und im Bezirk Harburg nicht kopiert werden. In Süderelbe sind in den Neubaugebieten Vogelkamp und Fischbeker Heidbrook in den vergangenen Jahren neben mehrgeschossigem Wohnungsbau auch Einfamilienhäuser und Reihenhäuser entstanden. Das ist gut und richtig“, erläutert der AfD-Bezirksabgeordnete Matthias Arft. Dieser lenkt den Blick auf das Neubaugebiet Fischbeker Reethen, wo seiner Meinung nach eine falsche Entwicklung stattfindet. „Im Bebauungsplanverfahren Fischbeker Reethen, wo rund 2.200 Wohneinheiten entstehen sollen, seien ca. 55% im Geschosswohnungsbau, ca. 40% als Reihenhäuser und nur ca. 5% in Form von freistehenden Einfamilienhäusern vorgesehen. Hier wird am Bürger vorbei geplant. Es müssten viel mehr Einfamilienhäuser gebaut werden, als vorgesehen sind. Bei der Planung wirkte offensichtlich schon derselbe Geist wie in Hamburg-Nord“, kritisiert Arft.
Bei der IBA, die für die Vermarktung der Flächen der Neubaugebiete in Süderelbe verantwortlich zeichnet, macht sich nach eigener Aussage der Trend weg vom Einfamilien- hin zum Mehrfamilienhaus bemerkbar. „Anhand der drei Entwicklungsgebiete lässt sich der planerische Paradigmenwechsel bezogen auf das freistehende Einfamilienhaus tatsächlich gut nachvollziehen. Im Vogelkamp Neugraben und im Fischbeker Heidbrook spielt das freistehende Einfamilienhaus noch eine sehr bedeutende Rolle. Aufgrund des Flächenmangels in Verbindung mit dem großen Bedarf an neuen Wohnungen und der schlechten ökologischen Bilanz freistehender Einfamilienhäuser hat sich der Fokus auf effizientere Wohnungstypologien, also auf das Reihenhaus und das Mehrfamilienhaus verschoben. In den Fischbeker Reethen spiegelt sich das durch einen sehr geringen Anteil freistehender Einfamilienhäuser und einen sehr viel größeren Anteil an Reihenhäusern wider“, erklärte IBA-Pressesprecher Arne von Maydell gegenüber dem RUF.