„Übungsabende sind Arbeit!“

MGV Sängerlust Scheideholz -Der Gasthof zum Bahnhof war die erste Übungsstätte des MGV Sängerlust Scheideholz

„Übungsabende sind Arbeit!“.

MGV „Sängerlust Scheideholz“ feiert 100. Geburtstag.

Anlässlich des 100. Jubiläums des Männergesangsvereines „Sängerlust Scheideholz“ von 1919 wird dem Chor am 19. Oktober auf einer Festveranstaltung im Landhaus Jägerhof die „Zelter-Plakette“ verliehen. Die Zelter-Plakette ist die höchste deutsche Auszeichnung für Amateurchöre. Der Bundespräsident verleiht sie alljährlich an Chöre, die seit mindestens 100 Jahren ununterbrochen musikalisch wirken und sich in langjährigem Wirken besondere Verdienste um die Pflege der Chormusik und des deutschen Volksliedes und damit um die Förderung des kulturellen Lebens erworben haben. Die Zelter-Plakette zeigt auf der Vorderseite das Bildnis Carl Friedrich Zelters und auf der Rückseite den Bundesadler mit der Umschrift „Für Verdienste um Chorgesang und Volkslied“. Zusammen mit der Zelter-Plakette wird eine vom Bundespräsidenten unterzeichnete Urkunde überreicht, heißt es dazu auf der Internetseite des Deutschen Chorverbandes. Die Verleihung der Zelter-Plakette übernimmt wahrscheinlich die Harburger Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen.
Am Anfang stand der Wunsch nach Eintracht. Rund ein Jahr nach dem Ende des 1. Weltkrieges, am Abend des 5. Dezember 1919, trafen sich mehrere Männer, um einen neuen Verein zu gründen. „Zwar gab es zu dieser Zeit bereits drei Gesangsvereine in Neugraben. Das Problem war, dass aufgrund der politischen Prägung im 1. Weltkrieg die Gesellschaft politisch in mehrere Lager gespalten war. Die Streitereien zogen sich bis in die Gesangsvereine hinein. Auf diese Auseinandersetzungen hatten viele Vereinsmitglieder aber keine Lust mehr. Sie wollten einfach singen“, erzählt der 1. Vorsitzende des MGV „Sängerlust Scheideholz“, Peter Oelkers. Zwei Personen machten Nägel mit Köpfen: Emil Hupe und Albert Döbler verließen ihren bisherigen Gesangsverein „Männergesangsverein Neugraben“ und nahmen Kontakt mit dem Verein „Piepenclub“, in denen sich in erster Linie junge Leute trafen, auf. Nach einigen Verhandlungen war man am Ziel.
Am besagten Abend des 5. Dezember wurde der neue Verein im Gasthof „Zur Eiche“ aus der Taufe gehoben. Der damalige Name des Vereines lautete: „Gesangverein Sängerlust Scheideholz und Umgegend“. Ein bis heute eiserner Grundsatz war und ist, dass nur die künstlerische Seite des Liedvortrags im Vordergrund stehen sollte – Politik darf überhaupt keine Rolle spielen, erläutert Ehrenchorleiter und Schriftführer Didey Müller. Zum 1. Vorsitzenden wurde Emil Hupe, zum Chorleiter Carl Lücke gewählt. Schnell stieg die Mitgliederzahl und die Beliebtheit der Scheideholzer Sangesfreunde an. Ausdruck dieser Entwicklung sind die zahlreichen Auftritte Anfang der 20er-Jahre zu Ostern, zum Himmelfahrtstag oder zu Weihnachten. Und das waren lediglich drei Beispiele. Um das hohe Niveau der Darbietungen zu halten, bedurfte es in der Anfangszeit oft mahnender Worte des 1. Vorsitzenden Emil Hupe, der von seinen Kollegen einen geregelten Übungsbetrieb forderte.
Zugute kam dem Verein das Engagement des Dirigenten Carl Lücke, dem es stets gelang, dass die Schar der Männer die gängigen Lieder mit Engagement einstudierten. Bald lautete in Neugraben ein gängiges Sprichwort. „De Dirigent, de sorg dorför, dat de Takt ok ümmer richtig wör“.
In den wirtschaftlich schweren Zeiten bis 1923, als aufgrund der galoppierenden Inflation das Geld beinahe nichts mehr wert war, bewährte sich die Solidarität unter den Mitgliedern. So hinterlegte das Mitglied Ludwig Röhrs eine für die damalige Zeit nicht unerhebliche Summe, um 30 Volkslieder-Bücher anzuschaffen. Chorleiter Carl Lücke stellte seine Dienste zeitweise unentgeltlich zur Verfügung. Und der 1. Vorsitzende, Emil Hupe, nahm sogar eine Hypothek auf sein Haus auf, um 1923 eine Vereinsfahne zu stiften. Die heute noch im Kiekeberg-Museum zu besichtigende Fahne aus französischer Seide war und ist ein hohes Gut des Scheideholzer Männergesangvereins. Vor geraumer Zeit wurde die sehenswerte Fahne restauriert, was eine ganze Stange Geld kostete. Auch hier hielten die Scheideholzer Sangesfreunde wieder zusammen und bewerkstelligten die Angelegenheit zur Zufriedenheit. Die Freude am seriösen Vortragen von Volksliedern, geistlichen Stücken, maritimen Gassenhauern und Schlagern war und ist bis zum heutigen Tage das Credo des MGV „Sängerlust Scheideholz“, betont Peter Oelkers. Dazu kam und kommt die Solidarität unter den Mitgliedern. Die war vor allem während der Weltwirtschaftskrise ab 1929, der Nazi-Diktatur und der entbehrungsreichen Nachkriegsjahre groß. Natürlich ist auch das harmonische Miteinander ein wichtiger Bestandteil des Scheideholzer Sängervereins, so Peter Oelkers.
Der gebürtige Neugrabener, der zusammen mit seiner Frau Renate für sein ehrenamtliches Engagement den Süderelbe-Thaler erhalten hat, hält laut eigener Aussage seit 1992 als 1. Vorsitzender „die Fäden zusammen“, damit organisatorisch alles klappt. Für den musikalischen Bereich zeichnen Chorleiter Jan Kehrberger und Ehrenchorleiter Didey Müller verantwortlich. „Das Besondere beim MGV Sängerlust Scheideholz ist, dass die Sänger über das Repertoire entscheiden. Der Chorleiter übt dann mit den Mitgliedern die jeweiligen Stücke ein. Dabei geht es sehr nüchtern zu. Kein Bier und kein überflüssiges Gerede. Übungsabende sind Arbeit!“, betont Didey Müller. Auch dieser wurde schon für sein ehrenamtliches Engagement schon vor Jahren mit der „Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes“ ausgezeichnet.
Dass unbedingt Wert auf Seriösität gelegt wird, dokumentiert auch das „Outfit“ der Sänger. Bei kirchlichen oder feierlichen Anlässen treten die Sänger im Anzug auf. Unter der hellgrauen Jacke wird zusätzlich noch eine weinrote Weste getragen. Geht es mehr um gesellschaftliche Anlässe, die die Mitglieder des MGV „Sängerlust Scheideholz“ in den letzten Jahren en Gros absolvierten, wird das „Buscherump“ (Fischerhemd) angelegt. Nach vielen Jahrzehnten sah sich der MGV Sängerlust Scheideholz Mitte 2018 gezwungen, eine neue Übungsstätte zu suchen. Unter anderem fragte man auch den Leiter der Seniorenresidenz Neugraben, Frank Esselmann. Dieser stellte dem Männerchor nicht nur kostenlos einen Übungsraum zur Verfügung, sondern überließ den Sängern auch noch stabile Regale zur Unterbringung ihrer Notenständer und ähnlicher Utensilien. Für die herzliche Aufnahme des MGV Sängerlust Scheideholz in die Seniorenresidenz Neugraben bedanken sich die Mitglieder nochmals an dieser Stelle ausdrücklich. Natürlich gibt es unter den etlichen Auftritten absolute Höhepunkte, die unvergesslich sind. Dazu gehört beispielsweise ein Übungsabend im Sommer 1975 in der Kirche Heilig Kreuz. Die Sänger waren gerade beim Einstudieren eines Liedes, als sie zum Patre gebeten werden. Man habe einige Gäste im Haus. Könnte man nicht ein paar Lieder singen? Man konnte. Die Scheideholzer Sänger legten sich richtig ins Zeug. Sie wussten aber nicht, wen sie da vor sich hatten. Ihnen fiel nur die würdevolle Kleidung der Zuhörer auf. Später erklärte der Patre, dass es sich um den weltberühmten „Chor der Belgrader Kathedrale“ handelte. Die Überraschung war gelungen. Zumal die Gäste voll des Lobes über die Darbietung der Scheideholzer waren, sagt Didey Müller.
Zu den Sternstunden des Chores gehört ebenfalls der erste Platz beim NDR-Chorwettbewerb „Der schönste Stadtteil-Schlager“ im Jahr 2000. Auch das Lob des Superintendenten der Stralsunder Marienkirche über die Qualität des Programmes 1993 wird den Teilnehmern unvergessen bleiben. Doch es sind auch die Aktivitäten vor Ort, die Respekt abnötigen. So unter anderem das jährliche Adventssingen in der Michaeliskirche. Die Kollekte wird jedes Mal den Organisatoren des „Obdachlosen-Frühstücks“ übergeben. Und somit schließt sich wieder der Kreis: „Lat uns fast un true tosamen stahn, denn ward wi ok nich ünnergahn“.